Johannes Näumann über das Internet und die Kritik daran
Das Internet sei ein Misthaufen, in dem man hin und wieder eine Perle fände. So der Doyen der Internet-Kritiker Joseph Weizenbaum in einem Podiumsgespräch auf der Softmoderne3, dem Festival der Netzliteratur. Der berühmte Informatiker, der manche Grundlage der modernen Netzwelt geschaffen hat, weiß wovon er spricht, verfügt er doch schon seit dem Jahr 1963 über ein Modem, damals noch in der handlichen Größe einer Kommode. Die Suche nach den Perlen lohne sich im übrigen kaum, da sie viel zu rar gesät seien. Natürlich musste man Weizenbaum zustimmen. In einer Zeit zumindest, als das Netz neu war und eine Hysterie sondergleichen losbrach, ebenso unter den leidenschaftlichen Verkündern eines neuen Web-Zeitalters, wie bei den Predigern einer Apokalypse des Abendlandes. Wer im großen Taumel standhaft bleibt, verdient Respekt. Aber gerade auf der Softmodere 1997 zeigte sich, dass der große Rausch verklungen ist und sich eine gewisse Verkaterung breit gemacht hat. Ernüchtert blickt man auf ein Medium, das nichts anderes war, ist und sein wird als ein Hilfsmittel, dessen Fantasie, Intelligenz und Kreativität niemals die des menschlichen Wesens übertreffen wird, das es bedient. Und wäre Joseph Weizenbaum nicht Gefangener seiner eigenen Courage, hätte er sich mit nüchternem Blick dieses Jahr im Podewil vom Gegenteil überzeugen können. Waren es doch gerade die Perlen im Misthaufen, die auf der Softmoderne vorgestellt wurden. Von Literaturprojekten über nützliche Linklisten, Suchmaschinen oder Bibliothekskataloge, bis hin zu solch wichtigen Beiträgen, wie Online-Zeitschriften, Anti-Rassismus-Initiativen, und purer Information: Bitte Schluss mit dem Kulturpessimismus, es gibt erfreulich helle Winkel im Netz! Es ist immer noch der Mensch, der das Medium steuert und seine Kreativität beflügelt. Niemand konnte dies besser demonstrieren, als Reinhard Kaiser. Er hat die Möglichkeiten des Netzes für sich entdeckt und bei seinen Schilderungen wird niemand behaupten können, er habe den Bezug zur Realität und ihrer Sinnlichkeit verloren. Kaiser benutzt das Netz als Hilfsmittel für die Arbeit am einst totgesagten Printmedium »Buch« und übersetzt wunderbare Texte, die nur so sprühen vor Realität und Menschlichkeit. Die Schreibmaschine hat den Füller nicht verdrängt, das Kino nicht das Theater, das Fernsehen nicht das Kino und der Videorekorder nicht das Fernsehen. Ebensowenig wird der Computer das Buch ersetzen. Joseph Weizenbaum hält ihn an Schulen für überflüssig, weil man das Geld lieber zur Einstellung von Lehrern verwenden solle. Die Münchner Journalistin Gabriele Hooffacker verdeutlichte in einem eindrucksvollen Vortrag über Rechtsradikalismus im Netz, wie sehr es gerade an politischer Bildung fehlt. Man braucht also beides: mehr Lehrer und Computer an den Schulen, damit der fantasievolle und kreative Umgang mit den Medien im allgemeinen und dem Internet im besonderen von früh auf gelernt wird. Dann dürften auch die Perlen selbstverständlich werden.
05.09.1997
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Johannes Näumann ist unter anderem freier Mitarbeiter beim DeutschlandRadio Berlin und ehemaliger Kolumnist im Literatur-Café
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