Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag
Hier lesen Sie die besten Beiträge der vierten Runde (März '02 - April '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von J. M. Coetzee eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Warten auf die Barbaren«. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag. ISBN 3-10-010814-0. 19,90 EUR: Cover: Warten auf die Barbaren

Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat.

Angst
von Renate Weller, 40229 Düsseldorf (Deutschand)

Es ist zwei Uhr dreißig! Immer dieser Traum, der mich seit Wochen viel zu früh und schweißgebadet aus dem Schlaf reißt. Er macht mir Angst, dabei weiß ich nicht einmal warum. Ich weiß, es war nur ein Traum, doch die Angst lässt mein Herz auch jetzt noch rasen. Wie gelähmt liege ich eine Zeit da, unfähig mich zu bewegen, gefesselt an die angsteinflößende Erinnerung, die nicht weichen will; die mich umklammert und mir den Atem raubt. Nur mühsam gelingt es meinem Verstand die Oberhand zurückzugewinnen, der Angst zu trotzen. Doch meine Gedanken kreisen für Stunden um das Erlebte.
Ich sitze am offenen Fenster eines Hauses, das mir am Tage fremd doch in der Nacht vertraut, zu einer Zeit, die längst vergangen ist. Es dämmert, doch noch herrscht reges Treiben auf dem Platz unter meinem Fenster. Ich lese ein Buch und vergesse die Zeit. Erst als es dunkel wird schaue ich auf. Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat. Er schaut nicht auf. Er schaut nie auf! Sein Gesicht kann ich nicht erkennen, aber ich kenne ihn und weiß doch nicht wer er ist. Er macht mir Angst. Ich möchte, doch ich kann meinen Blick nicht von ihm wenden, flehe innerlich, dass er mich anschauen möge, damit ich sein Gesicht erkenne und sehe wer er ist. Doch er tut es nie! Und mein Herz beginnt wie wild zu pochen und mein Atem wird schneller und schneller, Schweiß tritt aus den Poren.
Es ist zwei Uhr dreißig! Immer dieser Traum, der mich seit Wochen viel zu früh und schweißgebadet aus dem Schlaf reißt. Er macht mir Angst, dabei weiß ich nicht einmal warum. Ich weiß, es war nur ein Traum, doch die Angst lässt mein Herz auch jetzt noch rasen. Wie gelähmt liege ich eine Zeit da, unfähig mich zu bewegen, gefesselt an die angsteinflößende Erinnerung, die nicht weichen will; die mich umklammert und mir den Atem raubt. Nur mühsam gelingt es meinem Verstand die Oberhand zurückzugewinnen, der Angst zu trotzen. Doch meine Gedanken kreisen nun für Stunden um das Erlebte.

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Inga
von Svenja Koch, 64720 Michelstadt (Deutschand)

An einem sternenklaren Abend gehe ich durch Michelstadt. Auf meinem Weg bleibe ich kurz vor einem Hause stehen, um mir die Nase zu putzen. Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat. Zuerst stutze ich, doch da ich mir sicher bin, dass dort etwas sein muss, gehe ich auf das Tor zu. Kurz vor der Person, die dort sitzt, bleibe ich stehen.
„Hallo.“, sage ich. Die Person fährt zusammen und fragt ängstlich, was ich wolle. „Ich wollte fragen, ob ich helfen kann. Es ist eigentlich zu kalt um draußen zu übernachten.“, erkläre ich. „Nein danke. Ich komme alleine zurecht.“, antwortet die Person und wendet sich von mir ab. Im Mondschein erkenne ich, dass es ein junges Mädchen ist. „Bist du dir sicher, dass du keine Hilfe brauchst?“, frage ich noch einmal und lasse mich neben ihr nieder. Sie schaut mich forschend an. „Nein.“, sagt sie dann abweisend. Wir sitzen eine Weile schweigend neben einander.
„Ich bin von zu Hause abgehauen.“, sagt sie plötzlich. „Wieso?“, frage ich. „Das ist eine längere Geschichte.“, antwortet sie. „Ich habe die ganze Nacht Zeit.“, ich stehe auf und helfe ihr hoch. „Wie heißt du eigentlich?“, frage ich, während wir ihre Sachen zusammen suchen, um zu mir zu gehen. „Inga.“, antwortet sie, „Und du?“ „Tinka.“, sage ich.
Ich hake mich bei ihr unter und gemeinsam gehen wir zu mir nach Hause. Dort angekommen duscht Inga erst einmal. Dann setzen wir uns mit einer Tasse Tee an den Küchentisch und sie erzählt mir ihre Geschichte: „Mein Vater starb als ich drei war. Daraufhin hatte meine Mutter mehrer Freunde. Seit zwei Jahren ist sie wieder verheiratet. Doch Rolf, mein Stiefvater, ist ein richtiges Arschloch! Er schlägt uns alle und gestern hat er versucht mich zu vergewaltigen. Mama aber glaubt mir nichts. Sie steht voll auf seiner Seite und verschließt die Augen vor der Realität.“
Nachdem sie geendet hat, denke ich nach. „Ich werde versuchen dir zu helfen!“, sage ich dann, „Wir gehen gemeinsam zum Jugendamt und versuchen deiner Mutter die Augen zu öffnen!“ „Das würdest du wirklich tun? Du kennst mich doch gar nicht.“, Inga ist erstaunt. „Ja, aber ich kann doch nicht genauso handeln wie deine Mutter, jetzt wo ich weiß, in was für einer Situation du steckst.“, antworte ich. Inga fällt mir dankbar um den Hals. Dies war der Beginn einer neuen Freundschaft...

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Menschenpuzzle
von Martin Mercier, 56727 Mayen (Deutschand)

Wie jeden Morgen zog er meinen Stuhl ans Fenster, damit ich den Tag damit verbringen konnte, auf die Strasse zu starren. Meine Beine waren schon lange bewegungslos und taub. Er gab mir zur Verabschiedung einen Kuss auf die Stirn und meine Arme begannen zu zittern, während ich auf die Strasse sah und wartete, bis er aus dem Haus treten würde. Er ging einige Schritte, bis der Schatten des Tores ihn erfasste, das die Strasse in zwei Teile schied, dann verschwand er für einige Sekunden unter dem Bogen. Zum ersten Mal hatte ich es sehen müssen, als er zehn oder elf Jahre alt war und ich ihn nach einen Arzt schicken musste.Vielleicht erinnere ich mich schlecht und der Moment, den er dieses erste Mal im Dunkel des Bogens verbrachte, war in Wirklichkeit viel länger. Woran ich mich aber genau erinnere ist, dass zuerst seine Hände auf er anderen Seite zum Vorschein kamen, vor dem Körper ausgestreckt. Dann erst sah ich sein Gesicht, über den Augen eine schwarze Binde. Ein alter Mann tauchte auf, riss ihm die Binde von den Augen, und schlug ihm ins Gesicht. In den folgenden Wochen und Jahren musste ich mit ansehen, wie mein Sohn grundlos auf der Strasse zusammenbrach, euphorisch mit Fremden tanzte, wie ihm Unbekannte kleine Bücher gaben, oder wie sich wildfremde Frauen an ihn drückten und ihn küssten, als seinen sie mit ihm verheiratet. Ich brauchte lange um herauszufinden, was sie dort mit ihm taten, aber irgendwann wusste ich, dass sie Stücke von ihm stahlen. In der Dämmerung kam er zurück und ich sagte ihm er müsse morgen bei mir bleiben, weil die Taubheit schon in meine Fingerspitzen gekrochen sei. Er blieb, erschien aber zunehmend unruhig, fragte mich dann bei Tisch, ob ich glaube, Gott habe die Welt erschaffen und sei dann gestorben. Ich antwortete ihm, in diesem Hause würden wir nie versuchen, den Geist des anderen zu zerschneiden, so wie er das mit den anderen tue. Ob er nicht auch finde, die Teedose lasse das Aroma entweichen? Am nächsten Tag war er noch nervöser und als ich wieder die Mängel der Teedose beklagte, krampfte sich seine Hand um seine Tasse zusammen, lösste sich dann und das Porzellan zerschellte auf dem Boden. "Sie ist taub", stiess er angsterfüllt hervor, dann strürmte er hinaus. Ich wartete bis lange in die Dämmerung hinein. Auf der anderen Seite, neben dem Tor konnte ich, wenn ich die Augen anstrengte, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt stand und seine Hand schüttelte, um sie wieder mit Leben zu füllen.

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Im Wald verirrt
von Werner Hardam, 38667 Bad Harzburg (Deutschand)

Die Nacht ist hereingebrochen. Ich befinde mich noch im Wald und weiß nicht, wie ich wieder herauskommen soll. Überall nur Bäume und dichtes Gestrüpp, nirgends treffe ich auf Schilder, die den Weg weisen. So verirrt wie heute habe ich mich noch nie.
Ich stolpere auf dem schmalen Pfad, den ich im Halbdunkel gerade noch erkennen kann, weiter. Plötzlich sehe ich ein Licht zwischen den Bäumen. Dort muss ein Haus sein! Ich stehe vor einer Mauer. Das Licht schmimmert aus einer Ritze, die ein Fensterladen freilässt.
Na endlich! Ich bin gerettet. Wo Licht ist, müssen Menschen wohnen!
Ich gehe durch ein Tor, überquere einen Hof, komme zur Eingangstür des Hauses. Ich finde keine Klingel, klopfe an. Nichts rührt sich. Ich klopfe stärker. Wieder keine Antwort. Ich drücke die Klinke: die Tür ist unverschlossen; ich öffne sie.
"Hallo!", rufe ich laut. "Ist da jemand?" Niemand antwortet. Ich trete ein. Was ich sehe, lässt mich erschrecken: umgekippte Tische und Stühle, durchwühlte Schränke, zerbrochene Teller und Gläser, wilde Zerstörung überall. Ich gehe rasch durch andere Räume des Hauses: in allen sieht es ähnlich aus. Und niemand ist da, den ich befragen könnte.
Welches Verbrechen hat hier stattgefunden? Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich verlasse das Haus, stehe auf dem Hof. Doch was ist das?
Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat.
Diesen Menschen habe ich vorhin, als ich durch das Tor eingetreten war, nicht gesehen. Ich gehe rasch auf ihn zu. Es ist ein Mann in merkwürdig altmodischer Kleidung. Er kniet an der Mauer. Er atmet.
"He, Sie!" Ich rüttle ihn. Er reagiert nicht. Ob er Schmerzen hat? "He, Sie! Was ist hier passiert?"
Er bewegt sich endlich. Mühsam öffnet er die Augen, schaut mich verständnislos an. "Wer sind Sie?", herrsche ich ihn an.
"Räuber!", sagt er. "Ich: Räuber." Der Mann scheint verwirrt zu sein.
"Soldaten waren da," fährt er fort. "Haben alles zerstört! - Hauptmann tot."
Mir graust es. Ich lasse Mann und Haus dort, wo sie sind, stürze wieder hinaus in die Dunkelheit. Räuber? Räuberhauptmann? Und das im 21. Jahrhundert? Vielleicht habe ich einen Drink nötig, sollte überhaupt irgendwo mal ausspannen. Wenn es nur endlich hell würde und der verdammte Wald ein Ende nähme!

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Nachtwache
von Alexander Boeer, 04109 Leipzig (Deutschand)

Es wird Zeit. Ein Blick durch das Fenster. Nacht tritt ihre Herrschaft an. Gut.
Er nimmt den Mantel und geht zur Tür hinaus in die Stadt.
Langsam wandert er durch die Strassen. Kein Laut ist zu hören. Nebel dämpft das Licht aus einigen, noch erleuchteten, Fenstern.
Sein Weg führt zum Stadttor.
Hoch und schwer ragt es bald darauf vor ihm auf.
Dort an der Seite des Tores zur Stadtmauer hin. Dort in den Schatten ist ein guter Platz zu ruhen.
Langsam geht er in das Halbdunkel, setzt sich nieder. An die Wand gelehnt schläft er bald darauf ein.
Es wird Zeit. Ein Blick durch das Fenster. Nacht tritt ihre Herrschaft an. Gut
Ich ziehe meinen Mantel an, stecke den Dolch in den Schaft meines Stiefels und gehe zur Tür hinaus in die Nacht.
Leise schleiche ich durch die Strassen. Kein Laut soll mich verraten.Durch den Nebel leuchtet grell das Licht aus einigen, noch, erleuchteten Fenstern
Mein Weg führt mich zum Stadttor.
Hoch und schwer ragt es bald darauf vor mir auf
Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat.
Ich ziehe den Dolch. Langsam gehe ich in das Halbdunkel hinein. Der Wächter schläft. Den Kopf nach hinten an die Wand gelehnt.
Ein rascher Schnitt.
Der Weg für meine Freunde ist nun frei.

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