Lesen Sie den ersten Teil von Oliver Bechtels Reisetagebuch-Trilogie. Oder den zweiten oder dritten. 3. August 2001 Lutz weiß Bescheid. Lutz wohnt mit seinem Kleinlastwagen auf der Autobahn. Vor Günzburg ein Stau, wie man ihn nur aus der Tagesschau kennt. Nichts geht mehr. Menschen steigen aus ihren Autobacköfen und stehen dazwischen rum. Ein Rettungswagen quetscht sich noch durch. »Der Unfall ist hier jeden Tag«, sagt Lutz, denn Lutz weiß Bescheid. Vollsperrung der Autobahn, schon seit 9 Uhr. Warum steht er dann um halb elf auch noch im Stau? Lutz hat die Haarfarbe eines Schäferhundes und klärt uns über das grausame Österreichische Justizsystem auf. Wenn wir kein »Pickerl« an der Scheibe haben, dann werden wir im Gefängnis landen - oder schlimmer. Hier, er weist rechts unten auf unsere Windschutzscheibe, müssen wir es festkleben. Später werden wir lesen, dass wir es oben in der Mitte oder auf der Fahrerseite befestigen müssen. Aber nicht links! Wollte Lutz uns ins Verderben stürzen? Er erzählt uns noch etwas von seinem bevorstehenden Griechenlandurlaub und den Tücken des Fährbetriebs und will sich gerade daran machen, unser Navigationssystem neu zu programmieren, da geht es weiter. Günstige Schuhe gibt es in Zusmarshausen. Eine Erkenntnis, die wir ohne Umleitungsstrecke nicht hätten gewinnen können. Und auch Zimmerpflanzen sind im Angebot, das wir jedoch nicht annehmen können. In einer Zeit, in der wir auch in LA oder Florida hätten sein können, erreichen wir die Pizzeria bei Gröbl Möbel, wo wir uns mit unserer Kontaktperson treffen. Preiswerte Schwingstühle erregen unsere Aufmerksamkeit. Fritzi der Käfer läuft beim abendlichen Jausen über den Tisch und bringt einen weiblichen Kreislauf in Schwung. Ein Fritzi und eine Frau. Wie mag das erst bei den biblischen Plagen gewesen sein? Hysterisches Kreischen ohne Ende. God was a DJ. | 4. August 2001 Beim Essen von Wagners Pfandl beobachten wir abbiegende Autos und deren Insassen. Synchrone und asynchrone Kopfbewegungen. Jedes zweite Fahrzeug ist in dieser Gegend tiefer gelegt. Dann gilt es neun Liter Wasser auf die Alm hinaufzutragen. Nekrep, so heißt ein Buschenschank. Das Logo in dünner Spinnenschrift verstärkt den Eindruck, dass so auch eine Gothic-Band heißen könnte. Aus dem Zimmer ein herrlicher Blick auf die Landschaft, und mein Unterhemd fällt vom Balkon. Sanfte Hügel mit Pappeln. So ähnlich muss es in der Toskana aussehen, und auf der anderen Seite ist schon Slowenien, das ich mit Slowakien verwechselt habe. Früher gab es solche Länder nicht und Verwechslungen waren ausgeschlossen. | 5. August 2001 Nach dem Frühstück mit Kipferln und Zimtkissencerealien bringt uns Andreas nach Stainz. Zuvor noch Pferdesegnung, dann kürzester Weg über die Autobahn. Nach dem Abheben von Schillingen entdecken wir hinter dem Geldautomaten ein Jubiläumsfest: 100 Jahre Raiffeisenbank Stainz. Freibier, Freisuppe (Kürbiskern!) und Freischnitzelsemmeln. Freifanta nicht zu vergessen. Das Mittagessen ist gesichert, die Gebühren für die Abhebung im Ausland wieder drin. Der »Flascherlzug« kippelt durch die Landschaft. Eine Schwarzruß qualmende Lock mit sechs bunten Waggons auf Schmalspur. Die Stainzerbahn wurde zum Flascherlzug, weil man in den zwanziger Jahren damit zum »Höllerhansel« fuhr. Der Wunderdoktor erstellte Diagnosen aufgrund von Urinproben, die in Flascherln mitgeführt wurden. Heute enthält der Zug Touristen und die Flascherln Wein. Zwischenstopp am Bauernhof. Die Lock wird geölt, Kinderflohmarkt auf der anderen Seite der Spur - und Akkordeonmusik. Aus dem Bauchladen gibt es weitere Alkoholika, Ansichtskarten und Schirmkappen. Beim nächsten Stopp wird umrangiert, dann die gleiche Strecke wieder zurück, vorbei an winkenden Einheimischen in Neubausiedlungen. Das Jubiläumsfest der Raiffeisenbank ist schon vorüber. Wir fahren mit Marlene zurück. Zum Abendessen halten wir am Route 69, ein Biker-Restaurant im Western-Stil. Ein schwarzhaariges Mädel öffnet ein Fester zur Terrasse, lächelt, als wären wir alte Freunde, und will wissen, ob das Licht denn die Abend- oder Morgendämmerung sei. Kein Problem, sagt der bullige Wirt später, die Mädels campen hier und müssen nicht mehr Auto fahren. Na dann. | 6. August 2001 Unvermittelt bei einer Radtour dabei. Schmerzhafter Sattel, schon vor der Halbzeit. | 7. August 2001 Muskelkater hält sich in Grenzen. Dennoch heute nur zur nächstgelegensten Wiese. Kann mich heuer für kein Buch so richtig entscheiden. Die örtliche Eisdiele hat Hohlhippen neu im Sortiment. | 8. August 2001 Die Seilbahn am Schöcklberg bringt uns auf 1436 m Höhe. Hier ist es 10 Grad kühler. Pommes frites führt unser Haus nicht. Auf Ihre Gesundheit bedacht. Das ist in der Speisekarte des Stubenberghauses zu lesen. Dafür führt man den mexikanischen Feuertopf von Aldi, respektive Hofer, und nennt ihn Bohnengulasch. Leider nicht auf unseren Geschmack bedacht. Gelbe Liegestühle von Obi zwischen hellbraunen Kühen. Bunte Gleitschirme darüber. Sie winken nicht zurück, um der Gefahr eines Absturzes zu entgehen. Auch die Kühe winken nicht zurück. Zu schüchtern wie sich später herausstellt. Abends bei Legat in der Buschenschank sitzt das Serviceteam der Route 69. Schichtbeginn ist um 9. Kurz davor brummern und bullern sie dann auf ihren Maschinen davon. | 9. August 2001 Verliebtes Pärchen am Frühstückstisch. Er erzählt ihr flüsternd seine schönsten Fußballerlebnisse. Das Tor in der 89. Minute, das Fiebern, ob man noch ins eigentlich ausverkaufte Stadion kommt. Sie fiebert mit. In wenigen Wochen wird sie ihren Freundinnen vorjammern, dass er von nichts anderem als von Fußball redet. Nach Slowenien. Der Grundwortschatz wird im Duty-free-Shop gelernt. Guten Tag und Auf Wiedersehen. Maribor ist ein schmuckes Städtchen mit schmucken Mädels. Herrliche Hintern in engen Hosen und Röcken. Ausgiebiges Begutachten eines örtlichen Mercator. Supermärkte im Ausland sind interessanter als jedes Museum. Leider schon viele Produkte der üblichen Konzerne vorhanden, wenngleich auch in regionalen Variationen. Nutella mit Digitaluhr, Schuppenshampoo mit Pfefferminzgeschmack und Gratis-CD. Pasteten in vielen Variationen. Zurück mit Deep Purple über die schon wieder österreichischen Berge. Ohne Zündung eine jähes Ende. | 10. August 2002 Tipp des Tages: Ein Vegetarier sollte vor dem Essen fragen, ob das Essen kein Fleisch enthält. Nur so. Vielleicht nützt dieser Tipp. Auch der Rest des Tages sehr kulinarisch: Weingut besichtigen, Ölmühle besichtigen, höchstes Weindorf Europas besichtigen, Keltentaverne besichtigen. Letztere nur getarntes Restaurant, aber mit sehr gutem Essen. Dann der plötzliche Regeneinbruch. Gewitter, die mit Blitzen übers Land ziehen, und Graz ungemütlich und uns umkehrwillig machen. Ruhiger letzter Abend auf dem Zimmer. | 11. August 2001 Rückfahrt über Liezen. Letztes Treffen mit unserer Kontaktperson. Diesmal nicht Gröbl Möbel, sondern Schnuderl. An Autobahnraststätten riecht auch der Chiemsee nach Urin. Dann in der Abenddämmerung dank Xaver wieder zielgerichtet daheim. Nach diesem viel beachteten ersten Teil schrieb Oliver Bechtel bereits den zweiten und dritten Teil seiner Reisetagebuch-Trilogie, die jetzt ebenfalls im Literatur-Café zu lesen sind. Wie schon im ersten Teil werden die Fans fehlender visueller Spezialeffekte wieder voll auf ihre Kosten kommen. | © Text und Fotos 2001 by Oliver Bechtel. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten. | | |