Theater in Wimpfelsberg (1) Diesmal hatte Herr Haslinger sich selbst übertroffen. Ein Drama hatte er zu Papier gebracht, das die Geschichte Wimpfelsbergs an der Hutzen in einer Weise darstellte also gran-di-os, wie der Bürgermeister und Kronenwirt nach erster Lektüre lobte dass einem Hören und Sehen verging. Die Schlacht im Hutzental, jenes legendäre Gemetzel, in dessen Verlauf die Wimpfelsberger Bauern den fürstlichen Söldnern Paroli geboten und sie schließlich in die schmatzenden Sümpfe des Hutzenmoores gescheucht hatten dies als Unterlage für eine zartbittere Liebessaga die Worte fehlten einem: Gran-di-os! Wobei er im Pegasusgalopp nicht richtig gezählt hatte. Herrn Studienrat Haslinger war es unterlaufen, dass das Werk schließlich mehr Rollen enthielt, als die Laienspielschar Wimpfelsberg an der Hutzen e.V. zu besetzen in der Lage war. Wohl konnte man den einen oder anderen Söldner oder auch ein paar Marktmädchen aus den Beständen des Progymnasiums Wimpfelsberg a.d.H. auffüllen. Wohl war hier und da eine Laienspielscharmitgliedstochter willens, ein zierliches Fräulein am Hofe des abgrundverderbten Fürsten zu geben, sofern sie mehr Kostüm als Text darzustellen hatte. Aber die eine Rolle in der einen Schlüsselszene wollte und wollte keinen Darsteller finden: Der mannhafte Häufleinführer. In finsterer Nacht sollte ein Häuflein versprengter Söldner den Rand des Hutzenmoors erreichen. Der Führer des Häufleins, der Häufleinführer also, sollte in das Moor, respektive die atemlos lauschende Masse der Wimpfelsberger im Kronensaal, hineinspähen und ausrufen: »Schwarz liegt das Moor unsere letzte Zuflucht in seinem Dampf.« Danach sollte hinter ihm irgendein Krawall ausbrechen, der ihn weiterer rhetorischer Anstrengungen entheben würde. Eine kleine Rolle in einer großen Szene! Aber nicht und nicht zu besetzen. Alles abgegrast. Die Wimpfelsberger Theatertage im Kronensaal waren gefährdet! Bis schließlich der Bürgermeister und Kronenwirt seinen Maßkrug auf den hauseigenen Stammtisch knallte und ausrief: »Haslinger, verzweifelns nicht, den Rädelsführer macht ihnen der Sepp!« »Häufleinführer, bitte!« Studienrat Haslinger war mäßig begeistert. Der Sepp?! Der Sepp war Stallknecht in der kronenwirtseigenen Landwirtschaft und allerdings ein Mordsmannsbild, wenn auch etwas maulfaul. Nun ja, diesen einen Auftritt, diesen einen Satz es gab eh keine andere Wahl. Der Sepp machte fast freiwillig mit. Es wurde ihm beigebracht, wie sein Satz zu heißen habe. Er übte und übte. Molk er die Braunen, skandierte er mit jedem Zitzenzug: »Schwarz liegt (spritz) das Moor (spritz) unsere (spritz) letzte (spritz) Zuflucht (spritz) in seinem (spritz) Dampf. Sakra.« Mistete er den Stall aus, war jeder Gabelschwung ein Wort: »Schwarz (wurf) liegt (wurf) ...« und so weiter. Sein Satz ging ihm in Fleisch und Blut über. So wurde er zu einem der pflegeleichtesten Darsteller auf allen Proben. Trampel, trampel - Rampe spähen Satz brüllen. Kein Problem. Der Autor und Regisseur war zufrieden. Bis zur Premiere. Obwohl sein Auftritt erst im dritten Akt vorgesehen war, hibbelte der Sepp schon seit Saalöffnung in den Kulissen herum in vollem Wichs. Die Sonntagskrachlederne und das Oberteil einer Faschingsrüstung zum Söldnergewand umfunktioniert, eine vom Wimpfelsberger Schlosser aus Blech und Besenstiel gefertigte Hellebarde vor sich her tragend, repetierte er: »Schwarz liegt das Moor unsere letzte Zuflucht in seinem Dampf.« Endlos zogen sich die weniger bedeutenden Teile der Vorstellung hin. Bis sich schließlich und endlich das Häuflein hinter ihm formierte. Gleich! Sekunde noch! Das Stichwort! Und raus! Trampel, trampel. Die Rampe. Der spähende Blick in die finstere Masse des Publikums. Und da saßen sie, im Widerschein des Rampenlichts, das gerade noch die Honoratiorenreihe erkennen ließ: Der Pfarrer. Der Apotheker. Der Doktor. Der Feuerwehrhauptmann. Jeweils mit Frau Gemahlsgattin (außer dem Pfarrer, bei dem die dicke Haushälterin saß). Und der Chef selbst, der Kronenwirtbürgermeister. Dem Sepp schnürte sich alles zusammen, was sich zusammenschnüren konnte. Er spähte. Er schluckte. Und schließlich: © 1999 by Josef Ehrhart. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten. Hinweise: |