Schnabeltiere essen keine Nudeln
von Achim Abeling
Als ich die Haustür aufmachte, merkte ich sofort, dass meine Kleine wieder etwas angestellt hatte, denn meine Lebensabschnittspartnerin hatte diesen "Das hat sie alles von dir"-Gesichtsausdruck. "Was ist denn passiert", fragte ich, hoffend, dass sie nur wieder auf Bäume geklettert, wildfremde Menschen angesprochen, auf großen Hunden geritten oder andere Kinder mit ihrer überschwänglichen Liebe zu allen Menschen in Panik versetzt hat. "Du wirst schon selber sehen", sagte meine Partnerin und machte sich einen Tee. Wenig später kam auch die Kleine die Treppe hoch, irgendetwas sorgsam in ihren Händen verbergend. "Was hast du da", fragte ich. "Ein Schnabeltier" war ihre Antwort. Sie ging an mir vorbei ins Badezimmer, wo sie Wasser in die Wanne einließ. "Schnabeltier, so ein Unsinn, es gibt hier keine Schnabeltiere. Ich frage mich, ob es überhaupt welche gibt", aber als sie es mir hochhielt, musste ich zugeben, dass man es wirklich nicht anders beschreiben konnte. Es war keine Ente, hatte aber einen Schnabel und Paddelfüße, aber keine Flügel, sondern ein Fell. "Es lag an der Straße und wusste nicht wohin, da haben wir es mitgenommen". Vorwurfsvoll blickte ich meine Frau an, doch auch diesen Blick kannte ich von ihr, der sagen wollte "Ich habe keine Schuld, ich habe alles versucht, jetzt bist du dran". Toll, wenn man sich die Erziehung teilt und immer die Trümmer des anderen hingeworfen bekommt. "Woher weißt du denn, dass es allein und verlassen war?", fragte ich mein Kind, die Vernunft war meine Waffe. "Ich sah es in ihren Augen", sagte sie mir, den Angriff mit Einfalt abwehrend. "Wahrscheinlich hat es nur auf seine Mutter gewartet, die gerade mal kurz weg war und nun ist es todunglücklich", versuchte ich es weiter, doch gerade wurde das Tier in meine Badewanne gesetzt und schwamm fröhlich herum. "Aber was soll es denn essen?" - "Nudeln", verdammt, die Situation drohte zu eskalieren. "Pah", lachte ich, "Schnabeltiere essen keine Nudeln" - "Wenn du etwas Besseres weißt, dann sag es mir bitte". Die Ratlosigkeit stand mir wohl deutlich ins Gesicht geschrieben, denn meine Frau fing prustend an zu lachen. "Aber das Tier bleibt nicht in meiner Badewanne", was konnte ich bloß sonst noch vorbringen, fragte ich mich. "Aber siehst du denn nicht, dass es ein Wassertier ist?". Wie schön und einfach doch kindliche Logik ist. Ich zog mich mit meiner Partnerin zur Krisensitzung zusammen. Wir konnten erstmal nichts machen und mussten uns auf die neuen Lebensumstände einstellen. Ich wollte am nächsten Tag in den Zoo gehen, um mehr über das Tier zu erfahren.
Zum Abendessen gab es natürlich nach dem Willen meiner Tochter Nudeln und ich freute mich gemeinerweise diebisch darauf, dass sie aus dem Badezimmer kam und sagte, dass das Tier nicht essen wolle. Doch sie kam nicht. Schließlich stand ich auf und schaute mal nach. Und da saß doch das Tier mitten in der Wanne und ließ sich Löffel um Löffel Nudeln in den Schnabel kippen und machte dabei Geräusche wie meine Frau, wenn ich ihr den Rücken massierte. Ich deutete diese Laute als Wohlbehagen und Zufriedenheit. "Aber es kann nicht für immer bei uns bleiben, wir müssen es dahin zurück bringen, wo es hingehört, wenn ich weiß, wo das ist. Auf keinen Fall wird es einen Namen bekommen", sagte ich mit Nachdruck, denn wenn es so weit kommt, wird der Abschied um so schwerer. "Aber ich kann ihm doch keinen Namen geben. Bestimmt hat es schon einen". Und das aus dem Munde eines fünfjährigen Kindes. In diesem Moment gab das Tier einen Laut von sich, der sich ungefähr anhörte wie "Zepp", keine Ahnung, wie es das gemacht hat, aber so hörte es sich an. "Es heißt Zepp", sagte meine Kleine triumphierend und wir als Eltern stehen fassungslos davor.
Am nächsten Tag ging ich in den Zoo, wurde beim Direktor vorgelassen und beschrieb ihm das Tier so gut wie möglich. Aber ich glaube, er dachte, ich wollte ihn auf den Arm nehmen, als ich die Sache mit den Nudeln erwähnte, worauf ich schnell aus dem Büro hinauskomplimentiert wurde.
Ich ging dann noch in die Bibliothek und suchte stundenlang in Brehms Tierleben nach unserem Schnabeltier, fand aber nichts.
Wieder zu Hause fand ich meine Kleine im Badezimmer bei Zepp. Sie bemalte gerade die Badewanne mit Blumen und Sträuchern, Gras und Insekten, die in den Pflanzen herumflogen. "Was machst du da", fragte ich besorgt über meine Badewanne. "Ich male einen Teich, siehst du das denn nicht?" - Natürlich, wenn ich weiter solche Fragen stelle, bin ich für sie der senile alte Knacker, der ich eigentlich erst in fünfzig Jahren sein wollte. Meine Freundin stand in der Tür, rührte in einer Schüssel und schüttelte den Kopf über mich, solange, bis sie die Schüssel schüttelte, worauf sie in die Küche zurückging. "Hilf deiner Mam bitte beim Abendessen', sagte ich zu der Kleinen und überraschenderweise sagte sie "Tschüs Zepp" zu Zepp und ging. Ich setzte mich auf den Badewannenrand und überlegte, was Zepp wohl für ein Tier sei und woher er kam. Zepp kam angeschwommen, als ich meine Hand ins Wasser hielt und das Wasser kräuselte. "Eigentlich gibt es dich gar nicht", sagte ich zu ihm und er schaute hoch zu mir und rieb seinen Schnabel an meiner Hand.
Nachdem auch Zepp seine Nudeln an diesem Abend bekommen hatte, wünschten wir ihm gute nacht und gingen ins Bett.
Am nächsten Morgen wurde ich durch ein lautes Klopfen geweckt. Beim zweiten Augenaufmachen merkte ich, dass das Klopfen von meiner Kleinen kam, die auf meiner Brust rumtrommelte. Und sie rief auch noch etwas dabei: "Wo hast du Zepp hingebracht, was hast du mit ihm gemacht?"
Nichts hatte ich mit Zepp gemacht, aber sie wollte es mir nicht glauben. Wir gingen ins Badezimmer. Die Wanne war leer bis auf die Blumen. Zepp war nicht zu sehen. "Vielleicht ist er ausgeflogen", sagte ich und wurde von meiner Partnerin böse angeschaut, weil die Kleine anfing zu weinen. "Red keinen Unsinn, Mann", sagte meine Frau. In diesem Augenblick rief Zepp "Zepp" vom Wasserkasten des Klos herunter. "Er kann wirklich fliegen!" - Ich hielt ihm meine Hand hin und dieses komische Tier stieg hinauf, worauf ich ihn wieder in die Wanne setze. Meine Frau und ich saßen da und stierten auf das Tier und wollten nicht recht daran glauben, während die Kleine mit Zepp Haschen spielte. "Er kann solange bei uns bleiben, wie er will, Kleines. Nicht wahr, Frau?", sagte ich und meine Partnerin nickte mir lächelnd zu. Wir hatten uns stillschweigend darüber geeinigt. Zepp hatte einen Namen, es war also eh zu spät. Außerdem war er ein netter Kerl.
Als ich am darauf folgenden Tag ins Badezimmer ging, um nach Zepp zu sehen, war meine Kleine dabei, die Blumen von der Wanne zu putzen. Ich fragte "Was machst du da?" und gleich darauf "Wo ist Zepp?" und sie sagte "Er ist zurück gegangen zu den anderen. Er meinte, er wäre lange genug bei uns geblieben. Ich soll dich grüßen."
Und dann war wieder alles wie früher. Naja, fast, und meine Lebensabschnittsgefährtin war gar nicht so böse auf mich, nachdem ich das Klo mit Blumen bemalt hatte.
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