Eine Geschichte

von Barbara Hollmann

Es war einer dieser sentimentalen Tage, an denen man bei der IBM-Werbung im Fernsehen anfangen muss zu weinen. Die Verbindung der ganzen Welt, jedes Einzelnen, in Frieden vor ihren Computern, Gespräche in irgendwelchen Chaträumen, frei von Gewalt, Aggression und allzu harten Sprüchen. Du kannst dich unterhalten über Politik, über Kriege, über Quatsch, mit allen Völkern dieser Welt (Zumindest mit denjenigen die einen Computer ihr Eigen nennen dürfen).
     So saß ich also vor meinem Computer und schaute durch das Window, surfend, hinaus in diese noch nicht vollends erforschte Welt, ohne dass ich bei meinem neuen Sport sonderlich viele Kalorien verbrannte, aber, so meinte ich doch, die Brise ferner Ozeane in meinen Haaren zu spüren und schmeckte das Salz auf den Lippen. Aber wahrscheinlich kam das eher von den Chips, die ich gerade aß. Gerade folgte ich also, auf der Suche nach irgendwelchen Karaoke-CD's dem AltaVista Pfad und wollte schon laut Yahoo schreien, als ich zwischen diesen so zahlreichen Adressen jedoch ein Match fand, was so gar nicht zu den von mir gesuchten passen wollte:

http://ourworld/gott.com

Nach einem kurzen zögern, klickte ich die Adresse an, jedoch dauerte es sehr lange, bis diese Seite angewählt wurde, denn es war später Nachmittag. Die Wanduhr meiner verstorbenen Großmutter, Erinnerungsstück mir unbekannter Generationen, Marke Eiche-brutal, tickte leise im Rhythmus meines Herzschlages.
     Die Homepage baute sich langsam, wie aus dem Nichts heraus auf, und ich blickte endlich auf eine weiße Wolke, auf der in schwarzer Schnörkelschrift:

HIMMELSPFORTE ENTER

stand. Ich klickte das Enter an und mir war schon etwas merkwürdig zumute, mit welchem zum Himmel schreienden Gotteslästerer würde ich es hier zu tun bekommen?
     Oder gar mit einer neuen Sekte, die sich nur hinter unserem altbekannten lieben Gott mit dem weißen Bart versteckte?
     Oder gar zwei achtzigjährige alte Damen mit Bibeln in den gichtigen Händen, die einem zu einem weiteren Zeugen Jehovas machen wollen, und man fragt sich dann, wie viele Zeugen kann ein einzelner Mann verkraften, und vor allem, wofür?
     Ich wartete und wartete, aber der Bildschirm blieb weiß und doch stand in der unteren Zeile:

Document Done

"Hhm", sagte ich und schrieb - obwohl es mir etwas lächerlich erschien - 'Hallo, ist da wer?'
     Kurze Zeit später wurde der Monitor dunkel und kleine leuchtende Punkte erschienen, wie am Firmament einer glasklaren Nacht. Eine weiße Schrift erschien:

'Ich bin hier, ich bin immer hier...'

Ich zerbiss krachen einen Chips von den extra scharfen, dieser bekannten Marke und tippte kauend: '...und?...Wer bist du?'

'Na, GOTT, wer sonst?' erschien es.

du Schuft, dachte ich, und jetzt soll ich dir meine Geheimnisse beichten, oder wie hast du dir das gedacht?

'Die weiß ich...', erschien es auf dem Bildschirm. Ich schnappte nach Luft und starrte auf diese Worte.

'du brauchst dich nicht zu erschrecken, ich war auch schon vorher immer da, das weißt du doch, oder?`

Mit zitternden Fingern und bestimmt ganz bleich im Gesicht tippte ich: 'Scheiße, du bist echt GOTT? Das gibt's ja gar nicht!'
     'Doch', tippte GOTT da am anderen Ende, wo immer das auch war, und am oberen Bildrand erschien plötzlich ein Foto von mir.
     Ich stieß mich an meiner Schreibtischplatte ab und der Drehstuhl katapultierte in die entgegengesetzte Richtung. Mein Herz raste und ich dachte daran, den Monitor auszustellen, die Kabel herauszureißen, die Hebel im Stromkasten draußen auf dem Flur zu betätigen und mich dann in die hinterste Ecke meines Zimmers zu verkriechen, eine Decke über mich ziehend.
     'Mach das nicht', erschien es wieder, der Bildschirm wurde hellblau und kleine pausbackige Engelchen schwebten vom oberen zum unteren Bildrand. Ich musste trotz meiner Aufregung etwas lachen: das war also der himmlische Bildschirmschoner.
     Ich rückte wieder an meinen Schreibtisch und tippte:
     'Ich habe etwas Angst, weil ich schon gar nicht mehr an dich geglaubt hatte, du weißt schon, die Kriege und das alles.'
     Ich hatte plötzlich keinen Appetit mehr auf Chips, nur noch unsagbaren Durst, wahrscheinlich von dem ganzen Salz.
     'NEIN!' erschien es wieder auf dem Bildschirm, 'Es ist der Durst nach Wissen, nach verstehen wollen!'
     Er hatte Recht - GOTT hatte Recht!
     'Frag mich was!' schrieb GOTT.
     'Mir fällt verdammt nichts ein!' schrieb ich und fing dann ein bischen an zu weinen und eine Welle von vergangenen Gefühlen schwappte über die Ufer der Mauer, die irgendwann in mir entstanden war. Ich fasste den Monitor mit beiden Händen und sagte mit tränenverschmiertem Gesicht hinein,: "Warum hast du mich so lange alleingelassen? Warum hast du uns so lange alleine gelassen? Hungernde Kinder, vergewaltigte Frauen, Mörder mit weißer Weste, Krieg und Tod," stammelte ich und meine überschäumende Flut von Selbstmitleid war nicht mehr aufzuhalten. 'Ich brauchte einen Neuen Weg, einen ganz neuen Weg zu euch, denn ihr habt nicht mehr auf mich gehört, und euch einen neuen Sohn zu schicken, hätte nichts genützt und an irgendwelche Special Effects glaubt ihr ja heutzutage auch nicht mehr.'
     Ich schluckte und hatte fast schon einen Krampf in der Hand, weil ich die Maus umklammert hatte und nun nicht mehr loslassen konnte. Es war einfach zu viel für mich, dies alles war einfach zu viel.

'Da kannst du mal sehen, wie es mir geht!' schrieb GOTT.
     Ich konnte es nicht mehr zurückhalten und schrie quer durch mein Zimmer:
     "ABER du BIST DOCH GOTT, du KANNST DOCH ALLES MACHEN!!!"
     'Das habt ihr euch ausgedacht', tippte GOTT und der Monitor wurde Rot, wie das Blut von Millionen Menschen., 'meinst du, mir hat es Spaß gemacht, meinen Sohn sterben zu sehen? - Hat es nicht!'
     Ich krallte den Bildschirm links und rechts schüttelte ihn und schrie:
     "WIESOWIESOWIESO????" Ich holte Luft, "Wieso ist denn die Welt so geworden, wie sie ist? - Was ist der SINN???"
     'Was ist der Sinn von Leben?' erschien es.
     "Ja, was?" fragte ich.
     'Nur leben', schrieb GOTT.
     "Oh.." entfuhr es mir, " ich dachte, du wüsstest eine bessere Antwort." sagte ich.
     'Die Antwort ist gut!' schrieb GOTT, 'Der Unterschied ist nur, dass ich verstehe und du nicht!- Denk nur an : Leben, Fortpflanzung, Art erhalten und Anpassung.'
     "Wie Tiere?" fragte ich mit großen Augen in den Monitor.
     'Ja', tippte GOTT, 'wie alles was lebt.'
     Ich lehne mich vor und schrieb.. 'Also wird jeder seine Art erhalten wollen und auch dafür kämpfen? Also wird es niemals vollkommenen Frieden auf Erden geben?'
     Der Bildschirm wurde schwarz und eine weiße Schrift erschien:
     'Wenn vollkommener Friede herrscht, heißt das, dass ihr tot seid, dass die Tiere tot sind, dass die Pflanzen tot sind, dass der Planet tot ist, und dennoch kommt dann die Zeit, da sich die Sonne zum roten Riesen aufbläht und die Erde verschlingt. Vielleicht ist auch dann erst Frieden für die Erde, vielleicht erst dann... - aber, ist das ein Ziel?'
     "Oh..." hauchte ich leise, "nein, ich denke das wird wohl keiner wollen." 'Nein, niemand', schrieb GOTT, und plötzlich flackerte der Bildschirm auf und ich war wieder in meinem Karaoke-Verzeichnis.
     "WAS SOLL DAS JETZT??", schrie ich und ließ die Seite mit dem Cursor hoch- und runterlaufen. Nichts außer CD Adressen, kein gott.com.
     Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und gab noch einmal HIMMELSPFORTE in die Suchmaschine...NICHTS.
     Hatte ich geträumt? War ich verrückt geworden? Nein, ich stellte mir nur die typischen Fragen , die ein Mensch sich stellt, der etwas zu großes nicht fassen kann mit seiner eigenen Engstirnigkeit.
     Mir war ein bisschen schlecht, aber ich steckte mit trotzdem eine Zigarette an und inhalierte bis in den kleinen Zeh.
     Und wieder einmal musste ich verstehen lernen, dass ich nur ein Mensch war, nicht mehr und nicht weniger - und im Prozessor meines Computers verglomm langsam ein kleines, seltsam helles Licht.

© 1996 by Barbara Hollmann. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.


ZurückSeitenanfangWeiter