Bunte HoseSaufen auf M.
von Philipp Henkel

Die altersschwache Klimaanlage des Hotelzimmers summt vor sich hin. Das Zimmer ist notdürftig durch ein paar Stofffetzen, die wohl Vorhänge darstellen sollen, verdunkelt. Auf dem Bett räkelt sich ein von übermäßigem Alkoholkonsum gezeichnetes, wrackartiges Geschöpf. Ein Kerl. Zirka 18 Jahre alt. Einer dieser sympathischen Mallorcaidioten, die sich wie von Sinnen, stumpfsinnig und anspruchslos, Tag für Tag, von morgens bis morgens, meistens eine Woche lang, bis zum Anschlag zuschütten und sich von Zeit zu Zeit von Kollege Helios in der Nähe ihres Blechtempels, umgeben von ebenfalls erzassiartigen Artgenossen, braten lassen.

»Ahhh! Verdammt, mein Schädel pocht wie verrückt!«
     Was war gestern eigentlich los? Irgendwie kann ich mich nicht so recht an den letzten Abend erinnern. Und der Morgen erst - völlig von Dunkelheit umgeben. Nicht mal ein winziger Lichtstrahl hellt die Finsternis meines Gedächtnisses auf. Merkwürdig ..... - na ja, fünfzehn bis dreißig Biere hab´ ich schon in mich reinlaufen lassen. Egal, erstmal aufstehen, anziehen und dann was essbares auftreiben. Ob die anderen zwei Penner schon wach sind? Ein Griff zum Telefon wird das Rätsel lösen.
     »Hääääääää!?«
     »Guuuudeeee Jeff. Alles fit?«
     »Hält sich in Grenzen ..... was is´?«
     »Wie? Was is? - Wirf mal ´n Blick auf die Uhr!«
     »Und?«
     »Und?! Schwachmat! Mir knurrt der Magen! ICH BRAUCH FUTTER!«
     »Nicht so laut! Immer entspannt bleiben.«
     »Ja, ja, ja. Los, erhebe dich!«
     »Gleich.«
     »Gut. Aber ruf noch Olli an. Wir treffen uns in zwanzig Minuten im Speisesaal.«
     »Gut. Tschö.«
     »Tschö.«

Bunte HoseSchritte sind aus dem Treppenhaus, das direkt an die Hotellobby anschließt, zu hören. Drei seltsam aussehende Typen - allesamt in Regionaltracht gekleidet: Badeschläppchen, Trägershirt, kurze Hose - betreten die Lobby und schlendern zum Eingang des Speisesaals. Alle drei scheinen nicht besonders gesprächig an diesem späten Morgen. Sie erwecken viel eher den Eindruck, sie seinen apathische Schlafwandler. Aber auf diesem Eiland ist dieser Zustand Normalität. Allmorgendlich schreiten Hundertschaften von eisenharten Kampftrinkern so zum Frühstück und verabreichen sich ein Brötchen inklusive einer Tasse tiefschwarzer Aufputschgülle. Nach dieser Prozedur geht es dann meistens besser und das erste Bier rückt wieder in greifbare Nähe. So ähnlich reagieren auch diese drei Gelegenheitsassis. (Anm. des Autors: Sollte sich dem ein oder anderen Leser der Eindruck aufdrängen, der Schreiber dieser Zeilen schätzt seine drei Protagonisten gering, so sei ihm versichert: Der Autor liebt sie alle.) Eine wunderliche, lebendige Farbe legt sich wieder auf ihre blassen Gesichtszüge. Sie erheben sich und laufen Richtung Lobby. Besprechung, dann gehen alle drei die Treppe hinauf.
     Zwanzig Minuten späten befinden sich unsere drei wackeren Streiter schon auf dem Weg zum Strand. Jedoch nicht, ohne zuvor einen kleinen Zwischenstop beim Bierkönig (Ruhe in Frieden!) einzulegen. Ein Meter Altbier muss schon sein, bevor man sich auf seinem Strandtuch niederlässt. Und so sitzen sie holzbestuhlt an einer kleinen, runden Holztafel unter der bierfarbenen Sonne, deren Strahlen heute so mächtig wie ein eiskaltes Weizenbier sind, und lassen ein 0,2er nach dem anderen in ihre gierigen Kehlen laufen. Dem ersten Meter folgt noch ein zweiter, denn schließlich muss der Durst ja gestillt werden. Mit ausreichend Standgas erreichen sie den Strand, wo ihnen ein herrliches Szenario, das sie mit ihren, von Augenringen geschmückten Glotzern, zu trinken scheinen. Spärlich bekleidete Damen, die ihnen, dank des Alkohols, fast alle wie die leibhaftige Aphrodite erscheinen, liegen über das Strandstück zwischen ihrem Heiligtum und dem rauschenden Meer verteilt. Kleine Grüppchen sitzen in Kreisen um Eimer, die sie mit einem Beschwörungsritual, bei dem sie wie Verdurstende eine dunkelrote Flüssigkeit mittels kleiner, langer Schläuche in sich hinein saugen, preisen. Die Tempelpriester verabreichen den Pilgern, die auch heute wieder in Unmengen diese Kultstätte aufsuchen, einen Kelch Lebenssaft nach dem anderen. Hier wird man schon vormittags gegen ein vergleichsweise lächerliches Entgelt in diese selige Stimmung versetzt, in der man die ganze Herrlichkeit des vOLLEN sEINS fast schmecken kann. Das ist was Jeff, Hänk und Olli suchen - und es wird ihnen hier zuteil.

»So, so - Männer, wer holt was zu trinken?«
     »Ich war gestern der Dumme! Hänk is´ mal dran!«
     Hänk grinst verstohlen, denn er weiß, dass letztendlich sowieso Olli den Getränkeboy spielen wird. »Hab´ keinen Durst!« Er versteht es wirklich vortrefflich diesen Eindruck zu erwecken.
     »Ich auch nicht! Wir bleiben heute lieber mal trocken.« Jeff riecht den Braten sofort, denn er kennt Hänks zeitweise aufflammende Hinterhältigkeit. Er weiß ganz genau, dass Olli diese Antwort nicht schmeckt und er sich damit keinesfalls zufrieden geben wird. Denn Olli braucht es vor dem Mittagessen! »Ihr Arschgeigen! Ich muss mich jetzt ´n bissel abschütten! Verdammt!« Wutentbrannt bohrt Olli seine geballte Faust in den heißen Sand, springt auf und stürmt zum hohen Priester. Nach einigen Minuten kehrt er zurück - mit einem Eimer voll Blut. Er nennt dieses Zeug immer Blut, denn es weckt seiner Meinung nach die Lebensgeister. Zumindest bei ihm trifft dies zu. Den türkisen Eimer stellt er zwischen sich und Jeff. Hänk liegt ganz links. Prompt kriegen die beiden von Mister O. riesig lange Strohhalme in die Hände gedrückt. »So! Prösterchen Männer!« Da liegen sie, in trauter Dreisamkeit. Die Sonne brennt ihnen auf die blanken Brüste. Strohhalme im Schnabel, in regelmäßigen Abständen daran saugend.

Bunte HoseZwei Stunden sind verstrichen. Jeff, Olli und Hänk torkeln Arm in Arm die Straße, die zu ihrem Hotel führt, entlang. Doch das Bild trügt. Die drei sind alles andere als angenehm berauscht. Jeff und Hänks Zustand könnte man fast nüchtern nennen, denn Olli hat am Strand wohl einen oder zwei Gänge zu hoch geschaltet und annähernd drei Viertel des Eimers alleine gesoffen und bedarf deshalb der Gehhilfe seiner Freunde. Das personifizierte Elend - Olli verkörpert es des öfteren, wenn er richtig voll ist.
     »Wir hätten ihm vielleicht doch Einhalt gebieten sollen!?« Jeff sieht etwas genervt und irgendwie schuldbewusst aus.
     »Stimmt! Der Kerl kennt einfach keine Grenzen!« entgegnet Hänk hächelnd.
     Plötzlich zerreißt ein erbärmlicher Schrei, von Olli ausgehend, die friedliche Mittagsruhe. »Öhhhhhüüühhhhääääääää!« Ein Schwall roter Kotze schießt aus seinem Hals und ergießt sich wie ein Wasserfall über die furztrockene Straße, rinnt zur Straßenseite und versiegt dort in einem mit Sand gefüllten Kanal.
     Hänk greift sich an die Stirn. »Um Gottes Willen! Das kann doch nicht wahr sein. Dieser Widerling!«
     »Sei nicht so streng mit ihm.«
     »Du bist gut. Wieso muss er sich auch immer so übel zurichten?!«
     »Man, keine Ahnung!« Jeff bückt sich und hilft Olli sich aufzurichten, denn sein Kotzanfall hat ihn zu Boden gestreckt. »Hilf mir doch mal!«
     Hänk hilft ihm. Zusammen schaffen sie ihn auf sein Zimmer und flößen ihm dort noch zwei Päckchen Alka Selzer ein. »Ob der sich heute noch mal aufrappelt?« fragt Hänk. »Hmmm. Bis wir heute Abend losziehen hat er noch gut sieben Stunden Zeit. Du kennst ihn ja. Trotz allem ist er hart im Nehmen, er regeneriert sich eigentlich recht schnell. - Mal abwarten.«
     »Da bin ich mal gespannt. - Irgendwie sieht er wie jemand aus, der gerade ´ne Entgiftung durchmacht. Hab sowas mal im Fernsehen gesehen.«
     »Übertreib´ mal nicht.« - »War ja nur so ´ne Idee. Lass uns an den Pool gehen und später noch mal nach ihm sehen.«
     

© 1997 by Philipp Henkel. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.


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