Grillteller

Grillfreuden der 3. Person
von Stephanie Hacker

Nichts ist schlimmer als mit seinem mitgebrachten Fleisch an einem Grill zu stehen, der von einem fremden Grillmeister bedient wird.

Das allerorts bekannte »Hei, wir grillen, ihr müsst nur euer Fleisch selbst mitbringen« halt noch in meinem Ohr, während ich da stehe und dem Herrn am Grill, freundlich meine selbstzubereiteten Fleischspieße zur Garung anvertraue.
     Für meinen Geschmack sieht er wahrlich so aus, als ob ihm auch in dieser Saison das goldene Grillkotelett ehrwürdig um den Hals gehangen wurde. Mit seinen groben, an Straßenkehrmaschinenaufsätze erinnernden Händen, an denen jeweils fünf wulstige Borstenstränge gewachsen sind, nimmt er die Spieße entgegen.
     Nicht gerade in Andächtigkeit verfallen, wirft er sie auf die Eisenstangen, auf denen sich bereits ein gut durchmischtes Sortiment verschiedenartigster Fleisch- und Wurstsorten zur gemeinsamen Bräunung versammelt hat.
     Ich beobachte wie meine drei Spießchen sich langsam in der Hitze verzehren und die Zwiebeln eine glasige Gestalt annehmen. Der Grillmeister, in Gedanken nenne ich ihn Bill The Butcher, wendet wild die Stücke und ist arbeitswütig mit seinen Grillzangen zugange, das bereits fertig gegrillte Fleisch auf die, ihm entgegengereichten Teller zu verteilen. Als er die fertigen Stücke soweit verteilt hat, entsteht eine kurze Wendepause, in der er sich mit einem zerfetzten Lappen den Schweiß von der Stirn und aus dem Nacken wischt. Mit einer Hand in der Hüfte, in der anderen ein Bier, nimmt er einen tiefen Schluck aus der Flasche und blickt Stolz in die Glut, bevor er wieder mit seinen Grillzangen loswirbelt.
     Der Geruch der Gewürze und der rauchenden Grillkohle lassen in meinem Munde ein sprudelndes Speichelmeer entstehen. Mein Appetit wird mehr als zügellos und die Erwartung auf die anstehenden kulinarischen Köstlichkeiten sind kaum noch im Zaum zu halten.

Während ich da stehe und wie gebannt den Grillmeister anstarre, lausche ich den Gesprächen, der mit mir um den Grill herum wartenden Partygäste. Eine gewisse Nervosität, auch unter ihnen, lässt sich nicht leugnen. 
     Freundlich und zuvorkommend entgegnet man sich, um die vorherrschende Ungeduld dezent zu überspielen.

Im Gewirr der Stimmen vernehme ich eine Frau, wie sie jammernd einer anderen Person mitteilt, dass sie letzten Mittwoch irgendeinen Film nicht sehen konnte, da sie bis um 22:00 Uhr arbeiten musste. Die Arme, denke ich und rate ihr an, sich einen Videorekorder zu besorgen, denn wenn so etwas erst einmal einreißt, kann eine solche Arbeitszeit schnell zur Regel werden und sie solle sich darauf gefasst machen, bald kaum noch abends Fernsehen gucken zu können.
     Etwas irritiert schaut sie mich an und fragt: »Wie meinst du das?« Ich erkläre ihr, dass ich Fernsehen gucken ziemlich wichtig finde, insbesondere an lauen Sommerabenden an denen wir Temperaturen bis zu 33°C zu verzeichnen haben. Eine andere Frau und zwei Typen neben mir grinsen und geben ebenfalls ihre Meinung dazu kund. Auch sie würden bei der Hitze lieber lange arbeiten als fern zu sehen und wären ihren Chefs dankbar für jede weitere Zusatzaufgabe.
     In der Warteschlange zum Kotelett schießen wir uns für eine gewisse Zeit gegenseitig die Bälle zu.

Im Eifer des Gefechtes bin ich für einen Moment unachtsam als plötzlich jemand daher kommt und mit den Fingern auf die von mir mit gebrachten Spieße zeigt. Ohne dass sich der Grill in alle Himmelsrichtungen verbiegt, sagt er: »Die da sind meine!« Bill, der Grillmeister, des Fleisches und deren Besitzer nicht Herr, legt die gewünschten Stücke auf den ihm entgegengereichten Teller.
     In dieser Sekunde wird mir gewahr, dass hier gerade ein grobes Missverständnis beginnt seinen Lauf zu nehmen und ich nun schleunigst einschreiten sollte, denn sonst sind die guten Spieße weg. Einfach aus dem Blickwinkel entschwunden und fortgetragen in fremde Bäuche verschlungen. Noch leicht benommen und völlig baff, geradezu ohnmächtig der satten Dreistigkeit wegen, stehe ich da.

Bin ich der Fressgier bezichtigt oder gar der Spießigkeit, wenn ich nun den Mund auf mache. »Halt! Stopp! Nein, das ist mein Fleisch!«, rufe?
     Obwohl ich gerade so nette Leute kennen gelernt habe, mit denen das Gespräch sicherlich abrupt enden würde. Sie sich wegdrehen würden, weil mit solch einer spießigen, fleischlich orientierten, vielleicht gar noch geizigen, hysterischen Schrulle, wolle man besser nichts zu tun haben.
     Schnell wiegt das Hirn ab, etwaige zukünftige Bekannte gegen ein herkömmliches altes Stück Fleisch zu verlieren, welches in jenen Tagen, an jeder Ecke zu Hauff gegrillt wird.
     Viel Zeit bleibt nun nicht mehr.
     So mustere ich die Leute noch mal von oben bis unten und höre mich plötzlich aus voller Kehle schreien: »Ey du Arsch, dat is mein Fleisch! Hol dir gefälligst dein eigenes. Meinste ich steh mir hier zum Vergnügen die Beine innen Bauch?!!«

Stille um den Grill.

Nach einer eher gespannt, andauernden Weile, lockert sich die Situation und ein leises Stimmengewirr ist wieder zu vernehmen.

Der Typ, der mit meinem Fleisch durchbrennen wollte, dreht sich zu mir, nimmt einen der Spieße von seinem Teller und paniert ihn mir links, rechts immer abwechselnd ins Gesicht.
     Nach einigen Wiederholungen, oh, wie ich diese Grillveranstaltungen hasse, hält er inne und tritt mir noch einmal saftig vor das Schienenbein. Um uns herum hat sich bereits ein Pulk von Partygästen versammelt, die alle gespannt das Geschehen betrachten. Ich reiße dem Freak den Teller aus der Hand und werfe ihn vor seine Füße. Dann hole ich aus und lasse ihn ordentlich meine Faust unter seinem Kinn zu spüren bekommen. Der Typ, leicht benommen, zieht einen seiner Gummischlappen aus, nimmt ihn und drischt wild damit auf mich ein. Zum Schutze halte ich mich geduckt, die Hände über den Kopf, um den nächsten Moment abzupassen, ihm mit voller Kraft den Ellenbogen in die Magengegend zu stoßen.
     Taumelnd schauen wir uns in die Augen.
     Langsam werden die Gäste unruhig, weil nicht klar ist welches Ausmaß diese Auseinandersetzung haben wird.
     Aus der Menge ertönt plötzlich eine Stimme: »Das sind doch Claudia und Reinhard! Was gibt’s denn diesmal für ’ne Vorstellung? Die wilde Schlacht rund ums Kotelett?«

Mit einmal Mal bricht die Menge in ein wildes Chaos aus. Teller fliegen, Fleischbrocken direkt hinterher. Eine Horde tobender Gäste beherrscht die Szenerie, die sich gegenseitig die Haare vom Kopfe reißt in der anmutigen Stimmung der lodernden Grillade.

Blitzartig erscheint eine Elfe mit nur einem Bein und zieht Reinhard und mich aus dem unbändigen, ohrenbetäubenden Tumult heraus.
     Schwer geschädigt und unsere Wunden leckend, sitzen wir alsdann auf einem brokatgekleideten Sofa in mitten eines verlassenen Geräteschuppens am Rande der Stadt. Reinhard hat mal wieder die Wohnungsschlüssel vergessen und so bleibt uns zunächst kein anderer Ausweg als es uns im Geräteschuppen gemütlich zu machen. Irgendwann ertönt in der Ferne die Hungerpolka und wird immer lauter. Wir geben uns dem Rundtanz hin, wartend, bis der Kellner uns das Essen bringt.
     Es vergeht eine Ewigkeit, als wir endlich aus dem Nichts Reifen im Schotter vernehmen. Dann hören wir, wie eine Tür geöffnet und wieder zugeschlagen wird.
     Schritte nähern sich und dann schon hämmert es gegen die Schuppentür.
     Ich gehe zur Tür und öffne sie zaghaft. Ein eiskalter Hauch kommt mir entgegen und lässt mich schreckhaft zurück weichen. Vor mir steht der Sensemann mit einem Paket in der Hand. So ein Unfug. Vor mir steht der Grillkurier und möchte für unsere Bestellung 22,60 € haben. Ich gebe ihm das Geld und nehme hungrig das Paket in Empfang.
     Die Hungerpolka nun auf Volltouren dröhnend, reißen wir gierig das Paket auseinander. Vor uns liegen auf zwei Plastiktellern jeweils 3 knusprig gegrillte Fleischspieße.
     Ich halte es kaum noch aus, führe den Fleischspieß in Richtung meines Mundes als plötzlich Reinhard dazwischen ruft: »Nein. Halt, warte. Tu es nicht!« Auf der Brokatcouch sitzend, fingert er in seiner Hosentasche, bis ein braungebratener saftig gewürzter Fleischspieß zu Tage tritt.
     Neugierig, mit andächtig forschender Miene legt er ihn vorsichtig unter das Mikroskop, welches er neben der Gartenkralle in einem Regal des Schuppens gefunden hat. »Ja!«, bricht es mit einem Male aus ihm heraus, »so was habe ich mir schon fast gedacht. Schnell, gib mir auch die anderen Spieße.« Gelähmt reiche ich ihm unser Abendessen. »Was soll das schon wieder? Ich verhungere!« »Hier, sieh, nun habe ich endlich den Beweis.« Ich schaue durch die Linse und traue meinen Augen nicht. Auf den Fleischbrocken erkenne ich zwei Buchstaben, fein säuberlich eingraviert. Ein M und ein B. Ich schiebe die Spieße hin und her und sehe auch auf dem nächsten Fleischbrocken wieder diese Buchstaben. Dann nehme ich einen der anderen Spieße, auch hier sind in den Fleischstücken das M und das B eingraviert.  »Was hat das zu bedeuten?«, frage ich.

»Bei dieser Inschrift im Fleisch handelt es sich um die Initialen des Namens meiner Urgroßmutter. Martha Beißbarth. Die Spieße stammen eindeutig aus ihrer Sammlung. Ich war so verwundert über die verblüffende Ähnlichkeit mit deinen Spießen am Grill, dass ich gar nicht umhin kam, sie als die Meinen zu identifizieren. Du musst dir vorstellen, wir haben früher immer das selbe Stück Fleisch auf dem Teller liegen gehabt, bis wir es nicht mehr sehen konnten.«

Er erklärt mir, dass die Sammlung früher einige tausend Spieße umfasste. In der Erbfolge hatte es aber dann irgendwann eine derbe Auseinandersetzung gegeben, bei der die Spieße auseinander genommen wurden und somit fürchterlich durcheinander geraten sind. Schließlich ist irgend ein habgieriger Onkel auf die Idee gekommen, die Fleischstücke, die er sich unter den Nagel reißen konnte, für teures Geld zu verkaufen. Weil man aber die Urgroßmutter vor diesem Frevel bewahren wollte, begann man ihr zu Liebe die Spieße zu fälschen. Heute weiß man leider nicht mehr, wer dahinter steckte, und ob sie nicht sogar geklont wurden.

Schweigend blicken wir uns an.

Plötzlich sehe ich, wie die Fleischstücke sich langsam verformen und wieder ihre rohe Gestalt annehmen. »Wir haben es hier sogar mit den echten zu tun«, merkt Reinhard freudig erregt an. »Die echten Fleischstücke werden unter Wärmezufuhr knusprig braun. Lässt man sie erkalten, erhalten sie wieder die Farbe, Form und Konsistenz eines rohen Stück Fleischs. Das können die gefälschten nicht. Sie besitzen lediglich die Eigenschaft auf ewig frisch auszusehen. Der Vorteil von den echten ist, und deshalb sind sie so besonders, sie können zu jeder Grillparty immer wieder neu mitgebracht werden.«

Mich interessierte jetzt eigentlich nur noch eines. Schüchtern blicke ich Reinhard an und frage: »War denn nun der Grillkurier der fremde Mann am Grill oder war es doch der Sensenmann?«

Wir fingen an den Geräteschuppen zu renovieren. Reinhard lehnte die Tapeten in ganzen Bahnen an den Wänden an, während ich begann das Mikroskop zu säubern.

Nach einer Woche waren wir fertig und eigentlich wollten wir im Geräteschuppen zusammen alt werden. Da fand Reinhard den Wohnungsschlüssel wieder.

 

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