Pegasus im Tiefflug
Wolfgang Burger über das Symposium, am 21.11.1998, anlässlich des Internet-Preises Pegasus98 im ZKM Karlsruhe

Wenn einer, um etwas zu erklären, viele komplizierte Worte braucht, dann hat er seine Sache entweder nicht richtig verstanden, oder er möchte vermeiden, dass die Zuhörer am Ende ebenso viel wissen wie er, oder aber mit der Sache selbst ist etwas faul. Die erste Möglichkeit können wir getrost ausschließen, denn der Mann da vorne ist Peter Weibel, Professor und Chef des Karlsruher ZKM. Die zweite ist ebenso unwahrscheinlich, wozu sollte er sich sonst die Mühe machen? Bleibt die dritte.

Die Preisträger bei der Verleihung am Sonntag
Die Preisträger bei der Verleihung am Sonntag

Worum geht es? Pegasus 98 - die Verleihung des diesjährigen Preises für Internet-Literatur. Was ist Internet-Literatur? Das will uns Professor Weibel gerade erklären, aber, wie gesagt, er benutzt dazu viele komplizierte Worte. »Das Dispositiv hat einen unbestreitbaren Einfluss auf Stil und Inhalt.« Aja. »Egalisierung, Dekonstruktion, lineare Zeitabläufe lösen sich auf«. Hm. Das ZKM hat einen sauguten Beamer. Sie knallen das Pegasus-Logo häusergroß und gestochen scharf an die Wand. Was ist das Pegasus-Logo? Ein Pferd mit Flügeln. Es schwebt einen halben Meter über der Erde und bildet sich ein, es könne fliegen. »Der Zwischenraum, das Medium wird gleichwertig mit dem Inhalt, Entropie gleichwertig mit der Information.« Verleger, druckt mehr Schulhefte! »Der algorithmische Autor tritt auf den Plan. Er liefert nur noch den Algorithmus, die Vorschrift, nach der der Rezipient das Werk gestaltet.« Malen nach Zahlen? »Der Autor tritt immer mehr zurück, der Leser dafür in den Vordergrund. Der Leser wird endlich selbst zum Autor. Kein Ursprung, kein Ziel, keine feste Form.« Und endlich begreife ich: Der Mann redet nicht über Internet-Literatur, der macht Internet-Literatur. Der Redner verschwindet hinter den niedersinkenden Lidern des Rezipienten, die Worte werden zu Versatzstücken, zu Puzzleteilen, zu sinnfreien Assoziationselementen: Der Autor als Algorithmus - Der Algorithmus als Aphorismus - Der Aphorismus als Aphrodisiakum. Doch, macht Spaß. Unvermittelt hört er auf. Was ist? Die Stunde ist um.

Nun zeigt uns der Moderator der Veranstaltung, Christian Ankowitsch, der, obwohl Kunsthistoriker, wie ein normaler Mensch sprechen kann, kurz den Gewinner-Beitrag von 1996 – muss ich mir noch mal ansehen. Der von 1997? »Server temporarily unavailable«. Ich denke an den armen Kunstkritiker, der vor ein paar Jahren in Münster anlässlich einer im Stadtraum verteilten Skulpturenausstellung lange um einen Hydranten herumschlich und herauszufinden versuchte, ob das Ding nun Kunst oder eben doch nur ein Hydrant sei.

Dann kommt Michael Charlier, der offenbar auch Internet-Literatur macht, dazu ähnlich wohlklingende Worte wie Peter Weibel benutzt, dem es aber doch nicht gelingt, den Rezipienten in dieselbe angenehme Trance zu versetzen. Was klar wird: Er besteht darauf, kein verschwindender Autor sein und will auf gar keinen Fall ein Aphrodisiakum werden.

Inzwischen hat sich nicht nur der virtuelle Autor, sondern auch der Moderator dematerialisiert, sodass sich der nächste Redner, Wolfgang Tischer, selbst vorstellen muss. Er kommt aus Stuttgart und führt mit ein paar wenigen, klar verständlichen Sätzen und völlig ohne Latein die Veranstaltung ad absurdum. Es gibt nämlich gar keine Internet-Literatur. Zumindest noch nicht. Kein Mensch käme auf den Gedanken, Michelangelos David eine »Ochsenkarren-Kunst« zu nennen, nur weil er seinerzeit auf einem solchen Gefährt angeliefert wurde. Niemand würde zur Ware einer Versandbuchhandlung »Post-Literatur« sagen. Und so ist eben auch Computer-Kunst, die per Internet kommt, noch lange keine »Internet-Literatur«. Man könnte das Zeug ja genauso per Diskette verschicken und auf die lokale Platte installieren. Dass HTML benutzt wird, rechtfertigt nicht das Beiwort »Internet«. Dazu fallen dem Rezipienten nur zwei Worte ein: Bingo! und Bravo!

Zum Glück hat es keiner gemerkt, sonst müssten jetzt alle nach Hause gehen. So gibt es hinterher noch eine echt unterhaltsame Podiumsdiskussion.

21.11.1998

Podiumsdiskussion
Die Podiumsdiskutierenden

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Wolfgang Burger ist wissenschaftlicher Angestellter an der TH Karlsruhe und Krimiautor. Im Herbst 1998 hat er im Zebulon-Verlag seinen ersten Roman »Mordsverkehr« veröffentlicht.

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