Foto von Ulrich Struve Souverän aufgetischt
Notizen am Rande - Buchbesprechungen von Ulrich Struve

»Eine tote Katze sein, das, habe ich irgendwo gelesen, soll Glück sein. Eine tote Katze, weil die nichts mehr begehrt. Aber ich bin das Kind von Süchtigen, und die, das liest man auch, wollen von allem mehr: Ruhm, Geld, Sex. Essen und Sterben. Im Fernsehen sein.
     Ja, sage ich also. Zu allem Ja.« (Térezia Mora, Gier)

Für die jungen Autorinnen, die Ulrike Ostermeyer und Sophie Zeitz zum Vortrag geladen haben, scheinen Fabulier- und Lebenslust chronische Zustände zu sein, so unabdingbar wie Ein- und Ausatmen. Keck, versonnen, ernst, verspielt oder schrill - in allen erdenklichen Tonlagen melden sich in West-östliche Diven deutsche Autorinnen einer neuen Generation zu Wort, die vor allem Eines verstehen: ihr Handwerk. So wird das Gefühl der Lebenslust souverän evoziert und Spaß am Lesen vermittelt. Ganz nebenbei macht sich die Sammlung im bunten Durcheinander kühn konstruierter Geschichten und Gedichte, pointierter Fotos, Cartoons und Skizzen auf, gängige Lesegewohnheiten und allzu hoch gehängtes Authentizitätsverlangen aus den Angeln zu heben.

»Und dann fing, ehrlich gesagt, mein Himmel an, mit lebendigem Ausrufezeichen! ... Wer uns sah, verblüffte, verpuffte und ergab sich dem Suff - vor Liebesneid. Oder stürzte sich gleich in die Ewigkeit der nächstgelegenen Brötchenverkäuferin oder Politesse oder Senatorin, überall nämlich läuft die Ewigkeit herum ...«  (Bianca Döring, Affäre mit Lisbeth)

Lustvoll wird erzählt von Leben und Tod, Zuhausebleiben und Aufbruch, von Angst, Mut und Verzweiflung. Immer wieder auch von der Liebe und ihren Verwerfungen. Egal, ob die literarisch durchgemusterte Beziehung glückt, ob eine Liebschaft ständig auf der Kippe steht oder vollkommen misslingt, diese Autorinnen fürchten sich vor gar nichts! Seichtes Kaffee-und-Kuchen-Geplätscher und abgrundtiefe Fremdheiten werden mit gleich großer Verve ausgelotet. Dass angesichts solcher literarischen Furchtlosigkeit der Nachmittagsplausch mit der besten Freundin auch schon einmal im beiläufigen Mord kulminieren kann, nimmt dann kaum noch wunder. Die schöne heile Familienwelt bekommt vor lauter Überdruss neue Runzeln, und das Ganze wird selbstbewusst bitter und ironisch unterkühlt serviert.

»Ich glaube, ich werde den Rest des Tages damit verbringen, unglücklich zu sein.
     Oh, Mann. Nicht schon wieder!
     Die Kultivierung von Gefühlen ist eine gefährliche Sache für Frauen, die sich viel zu Hause aufhalten. Siehe 19. Jahrhundert, alle Paragraphen, Absätze, alle Romane und Dramen. Trotzdem werde ich den Rest des Tages damit verbringen. Trotz meines Wohlwissens und meiner referentiellen Distanz zum Thema. Einfach nur mal todunglücklich sein. Darf ich? Soll ich? Jetzt gleich?«  (Sarah Kahn, Das Testament of Funk)

Dabei nehmen sich die Texte der Anthologie gar nicht immer so furchtbar ernst und exotisch geht es nicht nur in Jaunapur und Bangkok zu, sondern auch im Allgäu. Dorthin entführt uns Claudia Kaiser, begnadete Texterin der Moulinettes, die den Damen im Lesepublikum eine abenteuerliche Art der Inlandsreise nahe legt: die Tournee mit einer Mädchenband, Höhenflug und Absturz inklusive.

»In einem Anfall von geistiger Umnachtung hatten wir eingewilligt, vor dem eigentlichen Auftritt einen ›In-Store-Gig‹ im hiesigen Müller-Drogeriemarkt zu absolvieren.
     ›In-Store-Gigs‹, muss man wissen, sind einzig dazu erfunden worden, um Bands nach allen Regeln der Kunst zu demütigen. Da tun sich Label, Vertrieb und Plattenläden zusammen, um dir zu zeigen, was du als Musiker so tust: Du störst nur.« (Mit der Kapelle ums Dorf)

Claudia Kaisers Bericht über ein Wochenende mit der Münchner Freundinnenband Moulinettes lässt an Gewitztheit nichts zu wünschen übrig, und der Moulinetten-Auftritt in »Rotis! Wo Fuchs und Hase längst tot is!« ist zum Schreien komisch. Die CDs der Moulinettes, allen voran der streckenweise brillante Erstling 20 Blumen - Easy-Listening-Sound mit klugen Texten! - liefern gewissermaßen den Soundtrack für West-östliche Diven; sie verbinden eine post-feministische Sensibilität mit lässigem Selbstbewusstsein. Diese Frauen - Musikerinnen wie Autorinnen - wissen, was sie wollen, und halten mit ihrem Können nicht hinter dem Berg. Sie haben Spaß an ihrem Handwerk, und das kommt beim Lesen und Hören vergnüglich klar an.

Ulrich Struve

West-östliche Diven: Anthologie, hg. von Ulrike Ostermeyer und Sophie Zeitz. München: DTV, 2000. 235 Seiten, 22 DM/11,25 EUR (Preisangabe ohne Gewähr). ISBN 3-423-24226-4.

Die Moulinettes, 20 Blumen, Marina - »Zaubervogel Barbie«, »Meine Liebe ist wie ein Asylantrag«, »Meine Hormone und ich« und weitere Perlen. Spitzenklasse! Total witzig, und so poppig, dass man einfach mitsingen muss ...

Die Moulinettes, alpha bravo charlie, s.h.a.d.o. - Pop im 60er-Jahre-Sound, gekonnt eingespielt. Supergute Ferienmusik, egal ob's an den Baggersee geht oder im Cabriolet den Pacific Coast Highway hinauf ...


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