Foto von Ulrich Struve Auf der Alm…
Notizen am Rande - Buchbesprechungen von Ulrich Struve … da gibt‘s für die Antiheldin von Marlene Streeruwitz‘ Schmonzettenpersiflage Lisa‘s Liebe herzlich wenig zu tun — und scho gar koa Sünd. Dabei fängt alles so viel versprechend an: »Lisa hatte sich verliebt«, informiert uns die Erzählerin gleich im ersten Satz. »Lisa ging jeden Morgen auf dem Weg zur Schule an ihm vorbei. Jeden Morgen zur gleichen Zeit. Jeden Morgen traf Lisa auf der Fischerstiege den Arzt Dr. Karl Andrian. Sie gingen aneinander vorbei. Lisa ging bergab zur Schule. Dr. Andrian hinauf zur Ordination.«
     Solch wundersame Symmetrie kann nicht ohne Folgen bleiben in der Welt der Heftchenromane (oder deren Parodie), und so gesteht Lisa Dr. Andrian ihre Liebe, postalisch, am letzten Tag vor den Sommerferien, um sich dann für Juli und August auf der Toffen Alm einzurichten im Warten auf den Briefträger und auf eine Erfüllung, von der sie selber ahnt, dass sie nicht kommen wird.
     Doch geben diese zwei Monate, formal sichtbar aufgeteilt auf ein rotes und ein blaues Heft, der Erzählerin reichlich Gelegenheit, das Leben der Lisa Liebich, 39, Grundschullehrerin wegen der Ferien und trotz zehrenden Verlangens noch immer solo, Revue passieren zu lassen. Das kommunikationsgehemmte Verhältnis zur Mutter, die unbefriedigenden Affären mit diversen, meist verheirateten Männern, die Träume von der Schriftstellerei — all das, vor allem aber die zwischen Ironie und tiefer Ernsthaftigkeit changierende Sprache der Autorin, bürstet die Konventionen traditioneller Heftchenromane gründlich gegen den Strich.
     Die Illustrationen und Beigaben (folgendes »Berggedicht« etwa, hier vollständig zitiert: »I kimm aufi./ I schau awi./ I steig awi./ I schau aufi.«) konterkarieren auf‘s Trefflichste den Wunsch der Protagonistin nach dem großen Abenteuer. Tägliche Polaroidbilder von der Toffen Alm zeigen den Weg des fahrradfahrenden Briefträgers über die Wiese zum Nachbarhaus, selten zu Lisa, aber es vergeht letztlich doch nur die Zeit. Das Leben zerrinnt, ohne dass Lisa Anteil daran hätte. Spätestens, als die Besuche des Briefträgers im Nachbarhaus auch am Sonntag stattfinden, wird klar, dass dort jemand anders die Affäre hat, von der Lisa träumt. Ihr eigenes Leben bleibt in einem ewig gleichen Rhythmus (siehe »Berggedicht«) befangen, bis sie den Ausbruch in eine neue Welt wagt und im dritten Teil, dem grünen Heft, nach New York geht.
     Dort markieren die Fotos, die Lisas Alltagsbeobachtungen und flüchtige Unterhaltungen mit Fremden begleiten, nicht mehr das Vergehen der Zeit, sondern eine zeitlose Orientierung im Raum: von der 14. bis 46. Straße in Manhattan wird jede Kreuzung mit einem Polaroidbild gewürdigt. Sie deuten gegenüber den diaristischen Bildern von der Toffen Alm eine Veränderung an, betonen aber zugleich die Starre der neuen, geometrisch geordneten Umgebung. Bei einer Figur wie Lisa von tiefergehenden Veränderungen zu sprechen, wäre völlig verfehlt, aber immerhin scheint die Möglichkeit der Veränderung, des selbstbestimmten Lebens schlaglichtartig auf.
     Als Lisa eine Liste der dubiosen Siege über die Männer in ihrem Leben aufmacht und sie einem Revolverhelden im Western gleich markiert, ist so ein Augenblick: »Sie versucht sich zu erinnern, wie oft sie sich von einem Mann getrennt hat. Lisa sagt sich die Namen der Männer vor und macht für jeden eine Kerbe in die Papierserviette«. Oder auch, wenn sie sich endlich selber Blumen kauft, statt weiter auf den Märchenprinzen zu warten, und festhält: »Enttäuscht werden ist eines, denkt sie. Sich enttäuschen lassen, etwas anderes«. Zur angedeuteten, aber sofort ironisch relativierten Möglichkeit der Veränderung gehört auch das Schlussfoto vom Ocean Boulevard in Santa Monica, L.A., und die unvermeidliche Notiz »Fortsetzung folgt«.
     Lisas stellenweise urkomische, meist reichlich trübe Geschichte ohne Erfüllung und Happy End bietet in jeder Hinsicht Gegengift zum Schwulst des Genres, mit dem sich Streeruwitz auseinandersetzt. Diejenigen, die Baccarat nur mit spitzen Fingern anfassen oder sich so gründlich daran sattgelesen haben, dass sie beim Gedanken an weitere Folgen ein leichter Brechreiz befällt, werden Lisa‘s Liebe als gewitztes Kontrastprogramm willkommen heißen.

Ulrich Struve

Marlene Streeruwitz, Lisa‘s Liebe. Roman in 3 Folgen. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1997. 3 Bde. Zus. 240 S., zahlr. Ill., kart., 36,00 DM/18,41 EUR (Preisangabe ohne Gewähr). ISBN 3-518-40903-4.


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