Robert Sass empfiehlt

Schatten einer Winternacht
von Markus Bohn

Man möchte ein Bier trinken mit Michael Birnat, dem jugendlichen Helden und geistigen Rädelsführer der Jahre 1980/81, um herauszufinden, was sich in seinem Kopf abspielt. Im Wechsel zweier aufeinander zulaufender Handlungsstränge schildert der Roman zum einen dessen Aufschwung zum gnadenlos experimentierfreudigen Freigeist der beginnenden 80er und verfolgt zum anderen, zwischen dem (Kult-?)Film »Arizona Dream« und Simmels »Liebe ist nur ein Wort« gratwandernd, den nahtlosen Übergang des nunmehr abgeklärten, desillusionierten Mittdreißigers vom hauptberuflichen Kneipenbesucher zum willigen Gespielen der gelangweilten weiblichen Oberschicht, der sich bald zu der alternden, durch exklusive Vorlieben und Praktiken sich auszeichnenden Verlegerwitwe Gabriele, bald zu deren spröder, sich nach familiärer Geborgenheit sehnender Tochter Sarah hingezogen fühlt.
     Dreh- und Angelpunkt beider Ebenen ist die in ihren Folgen bis in die Gegenwart reichende Katastrophe einer Februarnacht, ist die mit unbeteiligt-nüchterner Lakonie wiedergegebene Geschichte eines jungen Mannes, der mit seinen Entgrenzungsideen in einen Sog tierhaft-besessener Hemmungslosigkeit gerät und am Ende ungewollt dem einzigen Menschen, an dem ihm wirklich liegt, die Zukunft nimmt.
     Wer freilich unter dem verheißungsvollen Stichwort »Erotik« lediglich Stimulierendes erwartet, sei ausdrücklich vorgewarnt. Denn jenseits der einen oder anderen Passage, die ohne Zweifel sorgfältigerer Lektorierung bedürfte (für die Drucklegung zeichnet hier leider ein Zuschussverlag verantwortlich), beweist der Autor (Jahrgang 63) ein sicheres Händchen beim Entwurf makabrer Horrorszenarien. Deren Eindringlichkeit lässt wohl jedem halbwegs empfindungsfähigen Leser das Weiterlesen bisweilen zur Tortur geraten und sorgt dafür, dass die Lektüre garantiert mehr als eine Winternacht lang im Gedächtnis zurückbleibt.

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