Die kulturelle Welt ist untergegangen

Gero von Büttner über die Rechtschreibreform

Reformloser KetchupDas war’s jetzt also. Deutschland befindet sich im Niedergang! Die Zeiten hoher Kultur sind vorbei. Der Verfall und die Verwahrlosung unseres kulturellen Erbes hat eingesetzt, denn seit dem 1. August 1998 gilt offiziell die neue deutsche Rechtschreibung!
     Ja, und? Haben Sie was gemerkt? Känguru wird jetzt nicht mehr mit h geschrieben. Da ich dieses Wort in meiner Schriftsprache aber allenfalls in Aufsätzen über die neue Rechtschreibung verwende und sich Malibu seit jeher ohne h schreibt, ist das doch nicht weiter schlimm. Keine Katastrofe! Doch halt: Katastrophe wird auch nach der neuen Rechtschreibung weiterhin mit ph geschrieben. Ebenso wird es keine Filosofie geben, es bleibt bei der Philosophie. Gerade letzteres wurde von vielen Gegnern als der Kulturverfall schlechthin gewertet. Und viele wissen bis heute noch nicht, dass es die Filosofie nicht geben wird.
     Aber seien wir doch mal ehrlich: Wer von uns hat die alte Schreibweise denn vollkommen fehlerfrei beherrscht? Warum hieß es ich habe Angst aber er machte mir angst?
     Auf der anderen Seite erscheint es mindestens genauso unlogisch, warum nach der Rechtschreibreform jetzt rauh ohne h geschrieben wird, roh aber weiterhin mit.
     Eine solche Liste könnte man für die alte und die neue Rechtschreibung beliebig fortsetzen. Sowohl vorher als auch nachher ist nicht alles logisch - vielleicht etwas einfacher, aber ich kann jetzt keine große Verbesserung feststellen, wenn ich künftig z.B. Ketschup schreiben darf, aber nicht Ketschap.
     Dennoch habe ich mit Interesse verfolgt, mit welcher Vehemenz sich Gegner und Befürworter die im wahrsten Sinne des Wortes wortreichen Argumente um die Ohren schlugen.
     Für mich zeigt sich ganz klar eines: Sprache ist in vielen Fällen Definitionssache und wird wohl nie vollständig mit den Gesetzen der Logik zu erklären sein. Wenn die Reform zu etwas gut ist oder war, dann dazu, dass nun für viele Wörter Alternativen möglich sind und mehrere Schreibweisen richtig sind.
     Geradezu amüsant fand ich es auch, dass sich einige Politiker nachträglich Schreibweisen wünschen konnten. Sowas nenne ich wahre Demokratie! So wurde der heilige Vater auf den persönlichen Wunsch des bayerischen Kultusministerns wieder zum Heiligen Vater, weil man nach dem Fall der Kruzifixe auch nicht dies noch hinnehmen wollte.
     Möge also jeder mit seiner Schreibweise glücklich werden und den anderen nicht gleich für dämlich halten, weil er nähmlich schreibt.

Nachtrag: Das Literatur-Café stellte die Schreibung zum 11. September 2000 um. Warum so spät? Nun, es lag einfach daran, dass sich niemand fand, der alle Dokumente des Cafés von Hand umsetzen wollte. Erst im September 2000 war ein geeignetes Konvertierungsprogramm verfügbar.

14.08.1998

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Gero von Büttner lebt als freier Publizist in Überlingen am Bodensee

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