Postmoderne Post

Katharina Körting über ein Leseerlebnis der anderen Art

Lesen, Schreiben und WartenAlles ist im Wandel. Auch die gute alte Post ist längst nicht mehr die Alte: Ein Schalter, ein bärtiger, nuschelnder Mann, der mit nervtötender Langsamkeit das Formular ausfüllt, als hätte er gerade erst schreiben gelernt, und der Kunde steht da, trommelt mit den Fingern, wippt mit den Füßen und lächelt zähnefletschend: »Lassen Sie sich ruhig Zeit«, während hinter ihm die lange Schlange immer länger und unruhiger wird.
     Nein, heute ist das anders. Heute begnügt sich die Post nicht mehr damit, Post zu sein. Sie ist gleich auch noch Bank und Supermarkt. In einer Berlin-Charlottenburger Filiale (nur als Beispiel) warten nach dem soeben beendeten Umbau nicht mehr nur Angestellte mit Briefwaagen, sondern auch allerlei nützliche Dinge auf den Kunden, die zum großen Teil nur entfernt mit Post zu tun haben. Da gibt es nicht nur Briefumschläge, sondern auch Klebstoff, Geschenkpapier, Käpt'n-Blaubär-Utensilien und sogar eine große Auswahl jener Schnell-Lese-Romane mit den bunten Covers zu kaufen.
     Kein Wunder, wenn angesichts solcher Umwälzungen auch die Jüngeren leise Wehmut überkommt. Selbst wenn sie die gute alte Post nur aus eben den historischen Romanen kennen, die sie heute in der Post kaufen können. Ach ja, seufzt da wohl so mancher und wünscht sich den guten alten Beamten zurück, der liebevoll jedem einzelnen, gemalten Buchstaben nachsann. Ein bisschen pränatale Post-Nostalgie sei erlaubt.
     Doch es gibt Trost: Trotz der Schnelligkeit vorgaukelnden, post-modernen Fassade und den gelben Datenschutz-Wartepunkten auf dem Boden drücken sich immer noch lange Schlangen vor den Schaltern dieser neuen »Sörviss-Zenters«. Egal, zu welcher Tageszeit und wie in alten Zeiten. Denn Computer hin oder her - schneller geht's auch hier nicht. Spätestens jetzt wird klar, was ein Postkunde mit all den historischen Romanen soll: beim Warten lesen.

Katharina Körting
13.01.2000

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