Das erste Mal…
Von einem, der es geschafft hat

Wolfgang Burger hat das erreicht, wovon viele träumen: Im Herbst 1998 hat er sein erstes Buch veröffentlicht - einen Krimi.

Den ersten Tiefschlag steckst du im Copy-Shop ein. Als du die Kopien deines Manuskripts abholst, hat das Fräulein an der Kasse keineswegs glänzende Augen und auch keine schweißnassen Hände, und sie sieht kein bisschen übernächtigt aus, weil sie dein Werk nämlich nicht mit nach Hause genommen und über Nacht verschlungen hat – Sie drückt dir den Krempel in die Hand als sei es eine x-beliebige Diplomarbeit und nicht das literarische Werk, über das nächstes Jahr die Welt reden wird. Vermutlich ist sie unterbelichtet und hat nicht mal reingeschaut. Und außerdem entdeckst du beim Durchblättern auf der ersten Seite drei Tippfehler.

Dennoch: Sechs Exemplare werden eingetütet und zusammen mit einem freundlichen Begleitschreiben an die wesentlichen Krimi-Verlage Deutschlands verschickt. Die ersten 150 Mark bist du damit los, aber das macht nichts, denn in Kürze wirst du dich vor Geld nicht retten können.

Fünf Tage später: Du begreifst, was der Begriff »postwendend« bedeutet. Vier Manuskripte sind schon wieder da, es hat rein gar nichts mit der Qualität deines Geschreibsels zu tun, aber irgendwie passt es leider nicht ins Verlagsprogramm, und überhaupt hat man momentan arg viel zu tun, man wünscht dir von ganzem Herzen viel Erfolg bei einem anderen Verlag. Und du sollst doch, bitte schön, in Zukunft lieber nichts mehr schicken.

Aber das macht nichts, zwei sind ja noch unterwegs. Aus Tagen werden Wochen und aus Wochen Monate. Irgendwann hältst du es nicht mehr aus und rufst an. Bei Graphit ist man sehr freundlich, dein Manuskript wird tatsächlich nach einigem Suchen gefunden, man wird es sich ansehen. Eine Woche später: Die Absage. Immerhin hat die Lektorin reingeguckt und zum ersten Mal kriegst du eine professionelle Meinung zu hören: Du stehst doch noch ziemlich am Anfang, und sie wünscht dir von ganzem Herzen…

Bei Rowohlt läuft es ähnlich: Man ist sehr freundlich, das Manuskript liegt auf irgendeinem Misthaufen, wird gefunden und zurückgeschickt. Aber auch hier: Immerhin hat man ein paar Sätze gelesen und du erfährst, was dem Lektor an deinem Roman nicht passt. Es ist eine Menge, und außerdem wünscht er dir…

Was nun? Du fängst wieder an zu arbeiten, und beim ersten Wiederlesen entdeckst du, dass da wirklich einiges im Argen liegt. Du streichst am Anfang 20 Seiten, in denen Büroeinrichtungen und Häuserfassaden beschrieben werden und lässt dir dafür ein bisschen was Unterhaltsameres einfallen. Du begreifst, dass es dem Leser völlig egal ist, mit welcher Hand dein Kommissar seine Kaffeetasse greift, und dass kein Mensch wissen will, was er vorgestern zu Abend gegessen hat.

Ein halbes Jahr später: Der Titel ist ein anderer, im Copy-Shop ist es das Gleiche. Du kennst das schon, die Leute sind halt Banausen. Diesmal schickst du dein Manuskript zielgerichteter. Es sind auch nur noch vier statt sechs, weil die Kunst inzwischen doch ein wenig ins Geld geht, und ein Verlag, der nur Frauenkrimis macht, vermutlich mit Recht kein Interesse an deinem Erstling hat. Nur kurz überlegst du, ob du nicht lieber unter weiblichem Pseudonym schreiben solltest. Am besten was Angelsächsisches?

Wieder sind zwei Manuskripte nach kurzer Zeit zurück. Wieder dauern die anderen ewig. Wieder telefonierst du am Ende hinterher, und du gewinnst den Eindruck, dass die Lektorate auf deinen Anruf warten. Wenn du nicht anrufst, ist es dir vermutlich nicht ernst, oder du hast das Ding inzwischen woanders verkauft. Man ist sehr freundlich, man will es sich ansehen, und nach einer Woche ist das von Graphit wieder da. Das übliche. Rowohlt lässt auf sich warten. Du fängst schon an zu hoffen, es ist doch wohl nicht möglich? – Nein, es ist nicht möglich. Das Manuskript kommt nach einer Ewigkeit zurück, dabei eine Absage, aber, oh Wunder, diesmal hat man es von vorne bis hinten gelesen, es ist eigentlich nicht einmal schlecht, aber knapp vorbei ist halt auch daneben, und man wünscht dir…

Und wieder stehst du am Nullpunkt. Wieder wird überarbeitet, wieder muss ein neuer Titel her (der Alte war auch wirklich zu blöd), wieder wird kopiert und frankiert. Aber du hast einiges gelernt. Diesmal ist das Begleitschreiben ein Wunder an psychologischer Raffinesse, du hast ein schmissiges Exposé beigelegt und eine kurze Charakterisierung deiner Hauptfiguren. Außerdem hast du am Anfang 20 Seiten gestrichen und durch ein bisschen was Unterhaltsameres ersetzt.

Und wieder kommt das Erste zurück, aber du lässt nicht locker, schon am nächsten Tag tütest du es erneut ein, in der Mittagspause bringst du es zur Post, und 24 Stunden später ist ein Fax da: Der Verleger persönlich hat das Exposé und das Anschreiben gelesen, er ist interessiert, er wird sich das Manuskript demnächst ansehen, und man sollte sich doch mal zusammensetzen. Du brauchst drei Tage, bis du wieder normal gehen und sprechen kannst, nachts im Bett nicht mehr singst und nicht mehr wildfremden Leuten auf der Straße um den Hals fällst.

Und dann passiert wieder lange Zeit gar nichts. Nach und nach trudeln die restlichen Manuskripte ein, es hat überhaupt nichts mit der Qualität deines Geschreibsels zu tun, man wünscht dir von ganzem Herzen viel Erfolg bei einem anderen Verlag, und du sollst doch, bitte schön, in Zukunft lieber nichts mehr schicken. Wäre da nicht das Fax, das Du immer noch jeden Tag ansiehst, würdest du an eine Fatamorgana glauben.

Aber irgendwann trifft man sich doch, inzwischen wurde das Manuskript gelesen und im großen und ganzen für brauchbar befunden. Ein bisschen muss man wohl noch tun. Man trifft sich ein zweites Mal auf der Buchmesse, inzwischen hat sich der Verleger entschlossen, man gibt sich die Hand – in einem Jahr soll es erscheinen. Du kannst dich nicht erinnern, wie du nach Hause gekommen bist, auf der Straße bist du unzähligen Leuten um den Hals gefallen, und fast wärst du wegen lauten Singens aus dem Zug geflogen. Du schickst das Manuskript an die (freiberufliche) Lektorin – und wieder mal wird gewartet. Warten scheint überhaupt die Hauptbeschäftigung eines Autors zu sein.

Inzwischen sind zwei Jahre vergangen, du hast deinen Roman mindestens 50 Mal überarbeitet und über 300 Mark allein für Kopier- und Portokosten ausgegeben.

Vier Wochen später ist das Manuskript endlich wieder da, und du wirst der Lektorin bis ans Ende deiner Tage dafür dankbar sein, dass Sie schwarze und nicht rote Tinte genommen hat. Du beschließt, alles hinzuschmeißen und dir ein anderes Hobby zu suchen. Du machst dich an die Arbeit, streichst am Anfang 20 Seiten…

Nach einem weiteren halben Jahr ist der Vertrag unterschrieben, und die Lektorin einigermaßen zufrieden, ein bisschen hat sie auch keine Lust mehr - und wieder beginnt die Warterei…

Und dann geht es endlich los: Du kriegst den Umschlagentwurf zu sehen, du darfst dir Texte für die Buchrückseite, für die Prospekte, für dies und das und jenes einfallen lassen, du kriegst erste Kontakte zu Journalisten, die Gerüchteküche in deiner Heimatstadt beginnt zu köcheln, es erscheint ein erster kleiner Artikel in einem unbedeutenden Blättchen, von dem du zehn Stück organisierst um deinen Mitmenschen damit eine Freude zu machen und sie für die Nachkommen und die Literaturwissenschaft des nächsten Jahrtausends aufzuheben, der Erscheinungstermin rückt wider Erwarten doch näher, und dann kommt der Tag, wo du in die Buchhandlung gehst und dich so lange in der Ecke herumdrückst, bis du jemanden dabei beobachten kannst, wie er es aus dem Regal zieht, den Titel studiert, die Rückseite, ein bisschen schmökert, es fast wieder zurückstellt, nach dem Preis sieht und es endlich schulterzuckend und zusammen mit zwei üblen amerikanischen Trivial-Schinken zur Kasse trägt.

Jetzt bist du stolz, und du hast eben eine Mark zwanzig verdient. Und jetzt könntest du dir ausrechnen, dass, wenn die Startauflage (4000) komplett verkauft wird und du deine Kosten und all die investierte Zeit berücksichtigst, ein Autor einen Stundenlohn von 17 Pfennig erhält. Aber das tust du natürlich nicht. Du gehst hinaus auf die Straße, fällst dem Nächstbesten um den Hals und singst.

Wolfgang Burger
03.02.1999

Hier die bibliographischen Angaben zum Buch:

Wolfgang Burger: Mordsverkehr.
Der Debütroman mit Kriminaloberkommissar Thomas Petzold aus Karlsruhe.
Zebulon-Taschenbuch-Krimi.
ISBN 3-928679-56-2, 16,90 DM/8,64 EUR (Preisangabe ohne Gewähr)

Außerdem finden Sie hier den Bericht einer Lesung mit Wolfgang Burger und seine Kurzgeschichte »Countdown«.

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