StartseiteAlmtraumFolge 99 vom 9. Juli 2007

Folge 99 vom 9. Juli 2007

»Ich freue mich«, schob er nach.

»Ich gebe Ihnen noch mehr Grund zur Freude.« Bettina beobachtete ihn, während sie kaute.

Schlagartig war er verunsichert. Wer hat hier wen in der Gewalt? Nein, sie war nicht der lächelnd zustechende Typ, beruhigte er sich.

»Ich werde Ihren Roman schreiben.«

Er verschluckte sich und musste husten. »Meinen Roman? Wie soll er denn heißen? Ich meine – das Thema?«

»Entführung einer Lektorin.«

»Ist das Thema oder Titel?«

»Dumme Frage. Beides.«

Stefan verzog den Mund. »Das können Sie mir nicht weismachen. Den Titel kaufen nur schadenfrohe Schriftsteller und Kolleginnen, die wissen möchten, ob eine Stelle frei wird. Vielleicht, mit dem richtigen Cover, eine halbnackte Blondine, gefesselt und mit zerrissener Bluse, wo jedermann nicht nein sagen würde, wenn sich eine solche Chance böte, natürlich unerkannt. Also braucht sie eine Augenbinde und ein erschrecktes Gesicht, das den Betrachter richtig lüstern macht.«

»Ich habe Sie unterschätzt«, sagte Bettina steif. »Das Thema bleibt, der Titel wird später gefunden. Ich schildere die Entführung aus Sicht der Lektorin, die Auseinandersetzung mit dem Entführer, die schrittweise Aufdeckung seiner Motive, das Psychogramm, das ganze Drum und Dran halt. Ich dachte, in Form eines Tagebuchs.«

»Ich übernehme den zweiten Teil. Der Entführer sitzt im Gefängnis. Auch er schreibt Tagebuch.«

»Keine schlechte Idee«, meinte sie. »Ich komme Sie besuchen. Zwischen uns ist eine Beziehung entstanden – im Roman, selbstverständlich.«

»Würden Sie mich wirklich besuchen kommen?« Seine Stimme vibrierte.

»Warum nicht, wenn Sie anständigen Text abliefern?«

»Mit einer Lektorin im Tandem kann Qualität doch nicht ausschlaggebend sein, oder?«

»Sie sind ein Träumer«, sagte Bettina, »als ob Qualität je das einzig selig Machende für eine Veröffentlichung war. Mein Chef gab mir bei der Einstellung ein Motto mit auf den Weg: Wir sind ständig auf der Suche nach dem zukünftigen Literatur-Nobelpreisträger, in der Zwischenzeit aber verdienen wir Geld, und zwar soviel wie möglich. Verleger sind Unternehmer, sie basteln an Medienkonzernen, mehren Umsatz und Gewinne, damit sie sich die Verluste mit den Kleinauflagen für Leute wie Sie leisten können.«

»Auf den Punkt gebracht wollen Sie verkaufen, und zwar bedrucktes Papier. Wozu braucht Weigold dann noch Lektorinnen?«

»Ich könnte antworten, es ist eine Frage der Kapazität. Einer muss sortieren, weil wir nicht alles drucken können, was getippt wird. Oder ich könnte sagen, weil es unser Marketing noch nicht geschafft hat, vom Inhalt abzulenken. Bücherkauf, das ähnelt heute dem Gang in den Supermarkt. Nehmen Sie zum Beispiel Bratensoße, Maggi und Knorr. Wenn daneben eine Packung – na, wie heißen Sie?«

»Stefan Bruhks.«

»Wenn daneben eine Packung Bruhks – Garantiert klumpenfrei im Regal steht, welche Marke kaufen Sie?«

»Ich bin keine Marke!«

»Eben. Jetzt verstehe ich endlich, warum Sie mir gesagt haben, Sie seien ein Niemand.«

Stefan knurrte.

»Ein Unternehmensberater riet uns zu mehr Wegwerfbüchern, am besten Thriller. Wer die Lösung kennt, liest das Buch kein zweites Mal, sondern kauft ein neues.«

»Ich soll Fast-Food-Literatur schreiben?«

»Muss Ihr Erguss denn für die Ewigkeit sein? Wenn etwas von Ihnen in der Zukunft weiterleben soll, warum zeugen Sie nicht ein Kind? Ich … Sie …«

»Etwa mit Berta Böttcher? Sie ist meine Nachbarin, sitzt abends allein auf der Bettkante und flüchtet sich in Träume.«

»Wie sieht es denn mit Ihrer Einsamkeit aus? Sitzt allein an der Schreibmaschine …«

Nicht schlecht, die Lektorin, dachte er, sie könnte Alfreds Schwester sein. »Und träumt von Lektorinnen«, ergänzte er ihren Satz und drehte dabei beide Hände gegenläufig um einen nicht vorhandenen Hals.

»Oh, Sie lassen Ihren Humor von der Leine.«

»Galgenhumor«, erklärte er und fügte an, was ihm zu Galgenhumor einfiel: »Lektorinnen hängen Schriftsteller auf.«

»Nun machen Sie mal einen Punkt«, sagte Bettina heftig, »bevor aus Wortgeplänkel Ernst wird und ich verlange, dass Sie sich entschuldigen.«

»Schluss-Punkt«, sagte er, indem er die Spitze des Zeigefingers auf dem Tisch drehte. »Ich habe mir die Seele wund geschrieben.«

»Und ich sollte wohl Ihr Pflaster sein?«

Stefan lächelte andeutungsweise und fasste sich hinter das Ohr. »Die Heilung macht Fortschritte.«