StartseiteAlmtraumFolge 6 vom 7. April 2007

Folge 6 vom 7. April 2007

Kallweit lag wie üblich am späten Vormittag im Fenster und beobachtete das Leben. Bis vor einer Woche war ich mit einem unpersönlich gehaltenen Guten Tag vorbeigegangen. Seit der Sache mit dem Dietrich und der Aufdeckung des strafrechtlich nicht unbedenklichen Lauschangriffs war mehr Freundlichkeit geboten. Weil mir nichts Besseres einfiel, erwähnte ich: »Sie haben noch einen Aquavit bei mir gut.«

»Nachem Essen. Ich komm dann rauf.«

Ich gratulierte mir herzlich zu meinem Einfall, beruhigte mich dann aber wieder. Irgendwann musste es ohnehin sein. Warum also nicht heute?

Wenige Minuten nach zwei Uhr klingelte es. Ich bat Kallweit, auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz zu nehmen und holte den Aquavit und zwei Gläser. Eigentlich mochte ich keinen Schnaps. An die Flaschen war ich während eines verlängerten Ostseewochenendes gekommen. Das Wetter war nicht besonders und eine Fahrt mit der Fähre von Puttgarden nach Rødbyhavn schien die einzig sinnvolle Flucht vor der Langeweile.

»Schriftsteller bisse?«

»Richtig.«

»Abba die Bücha sind nich alle von dir?« Kallweit deutete auf das dreiteilige Holzregal, Kiefer unbehandelt und gut mit Literatur gefüllt.

»Sie sind ein Witzbold.« Ich trank den Aquavit in kurzen Schlucken und beobachtete Kallweit über den Rand des Glases. Versprechen eingelöst. Kallweit konnte nun wieder in das Erdgeschoss zurück und die Arme auf das Sofakissen im Fenster legen.

»Hasse die alle gelesen?«

Mein Holzregal war gehaltvoller als jeder überdurchschnittliche Wohnzimmerschrank, für Kallweit wohl ein bisschen zu viel. »Nicht alle«, antwortete ich. »Die Nachschlagewerke liest man nicht, man gebraucht sie.«

»Du bissen Oberschlauen, was?«

»Es war nicht so gemeint«, sagte ich, und weil das halb gelogen war, goss ich ihm nach.

»Is denn schonnen Buch gedruckt?«

»Von mir? Nein.« Ich schenkte mir ebenfalls ein, blickte Kallweit auffordernd in die Augen und kippte diesmal das Zeug hinunter.

»Die ganze Maloche is umsons?«

»So ist das nun mal. Vor die Veröffentlichung hat der Herrgott die Lektorinnen und die Verleger gesetzt«, erklärte ich.

»Abba wennze nich gedruckt wirs, macht dat doch kein Sinn. Die ganze Aabeit.«

Ich zuckte mit den Schultern. Wir sollten alle streiken, dachte ich, wohl wissend, dass Streik keine Lösung war. Gab es überhaupt eine Lösung? Nicht alles Ungleichgewichtige endet so wie bei David und Goliath in der Bibel.

»Nä«, sagte Kallweit, »dat is wie als wennich ne Wassaleitung durchs Haus leech und nich anschließ.«

»Ein kleiner Unterschied ist schon da. Ich schreibe ohne Auftrag. Was mir so einfällt, und von dem ich glaube, es könnte die Leser interessieren.«

»Klempner is doch wat ganz anners als diese Schreiberei«, urteilte Kallweit. »Da drehsse den Hahn auf und wenn Wasser kommt, bisse häppi. Oder dat Haus fliechtich umme Ohrn. Bei Gas.«

Seine Augen verrieten mir, wie köstlich er sich über mich amüsierte. Ich spendierte die dritte Runde.

»Bis vielleicht dochen feinen Kerl. Prost.«

Wir tranken und ich wurde langsam rauschig. Ich hätte vorher zu Mittag essen sollen.

»Wie alt bisse eintlich?«

»Fünfunddreißig.«

Kallweit musterte mich. »Schonne kleine Plauze.«

»Drei Kilo.«

»Mehr nich? Bei deine einssiebzich. Fürn Aabeitslosen bisse gut genährt. Kannze mir mal son Buch von dir geem?«

»Wann haben Sie denn zum letzten Mal gelesen?«

»Heute. Stellenanzein inne Zaitung.«

»Egal«, sagte ich laut, schüttete Aquavit ein und trank ihn gleich aus. Aus dem Regal holte ich den Umschlag mit dem Manuskript über Herbert Koslowski und reichte ihn Kallweit. »Lesense dat«, sagte ich. »Wegen dem Kabel.«

Kallweit sah mich argwöhnisch an.

»Noch einen, zum Einlesen?« Ich hielt ihm auffordernd die Flasche hin.

»Nä«, meinte er nach kurzem Überlegen. »Ich hau dann getz ab.«

Ich schenkte mir noch einmal ein. Der Aquavit ging deutlich zur Neige. »Sagense mir ruich, wenn Ihnen wat nich gefällt.«

»Machich.«

Ich leerte das Glas und begleitete Kallweit zur Tür.

Seltsam, was ich da veranstaltet hatte. Immerhin, der Bildungsnull hatte ich es ordentlich gegeben, an dem Manuskript würde er sich die Zähne ausbeißen.