StartseiteAlmtraumFolge 122 vom 1. August 2007

Folge 122 vom 1. August 2007

»Lieber Gott, bitte!«, flüsterte Bettina und sackte auf das Kopfkissen zurück. »In meinem Kopf dreht sich alles. Bochum«, schrie sie, »Nachrichtentechnik, Hermann, Margot, die kleine Engländerin – war jedes Wort Erfindung? Verdammt, ich wollte dich doch nicht in Frage stellen, nur ein wenig in deinem Inneren stöbern!« Ihre Stimme erstarb. »Berthold hat mich nicht belogen, er sich hat nur genommen, was ich ihm in meiner Einfalt in den Schoß geworfen habe, ich dumme Kuh!«

Mit einer heftigen Bewegung entzog sie sich seinen besänftigend nach ihr greifenden Händen.

»Ich habe dich auch nicht belogen!« sagte er eindringlich.

Bettina ließ sich auf das Kopfkissen zurückfallen und zog den Schlafsack über ihre Brust.

»Gemein wäre, wenn ich dich getäuscht und mir von dir etwas hätte geben lassen, was du nicht zurücknehmen kannst«, sagte Stefan ernst. Er wischte ihr Tränen mit dem Zeigefinger aus den Augen. »Alles was ich dir erzählt habe, ist schon allein deshalb wahr, weil ich mir nie die Mühe gemacht habe, Geschichten zu erfinden. Ich habe dir erzählt, was ich wusste, mehr nicht. Die ganze Wahrheit ist, dass mich in den ersten Tagen, an die ich mich erinnern kann, eine innere Stimme verfolgte. Die Stimme behauptete, sie heiße Alfred und sei eine Seele auf Bewährung.«

»Ist das endlich alles?«

Vorsichtig erkundigte sich Stefan: »Reicht das nicht?«

»Mir schon.« Bettina schob eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ich habe mich mit einem Verrückten eingelassen«, stellte sie fassungslos fest. »Warum müssen Männer ihre Geständnisse eigentlich bis zum Morgen nach der ersten Liebesnacht zurückhalten? Ist das biologisch oder egoistisch, weil ihr euch die Gelegenheit nicht entgehen lassen könnt? Schlag in deinem Bedeutungswörterbuch den Begriff Hingabe nach. Und dann unter Benutzung. Kapier endlich den Unterschied!«

Eine Falte des Schlafsackes hatte sich zwischen beide gelegt.

»Bist du sprachlos?« fragte sie.

»In den letzten Tagen – ich hatte manchmal das Gefühl, ich müsste von der Weißen Wand springen«, erklärte Stefan mit leiser Stimme. »Ich allein trage die Verantwortung.«

»Den letzten Satz kann ich unterstreichen. Ansonsten ist mir nicht damit geholfen, wenn du mir als Seele auf Bewährung erscheinst.«

Du bist nicht schuldig, sagte Alfred.

Stefan setzte sich stocksteif auf und verlor die Farbe aus dem Gesicht. Mit Alfreds Wiederkehr hatte er nicht mehr gerechnet.

Stell dir vor, es ist ein Traum, und vergiss, dass die da unten den schlechten Scherz beschlossen haben, wie sich eine Lektorin als erfolgloser Schriftsteller macht Dabei sind sie nicht einmal selbst auf diese niederträchtige Idee gekommen, sie verlassen sich auf die Menschen. Jeder böse Gedanke wird irgendwann einmal begierig aufgegriffen.

Lauter als gewöhnlich sagte Alfred: Ich verabschiede mich. Leise fügte er hinzu: Wird wohl nichts mit der Beförderung werden. Die Entführung werden sie mir ankreiden, weil ich dich allein gelassen habe. Hättest du mich bloß nicht zum Teufel gewünscht! Aber mit meiner Ehre lasse ich nicht spaßen.

»Wer verabschiedet sich?« fragte Bettina und schaute sich verunsichert um. »Jetzt werde auch ich verrückt.«

»Nein«, antwortete Stefan, »das ist Alfred.« Ein dunkles anschwellendes Grollen dröhnte in seinen Ohren, als stürzten Massen zu Tal, tief unter ihm. Dann war es wieder still und eine erlösende Ruhe setzte ein. Tränen liefen ihm das Gesicht herab. Vergeblich versuchte er, sie anzuhalten und nach innen zu schlucken.

Bettina zögerte, dann legte sie die Arme um seinen Kopf. Als Stefan endlich ruhig lag, war Alfred aus beider Erinnerung verschwunden.