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Emotionaler Peitschenhieb: Twelve Years A Slave von Solomon Northup

Der Autor Solomon Northup in seiner Arbeitskleidung als Baumwollpflücker. Kupferstich von Nathaniel Orr für die Erstausgabe von 1855.
Der Autor Solomon Northup in seiner Arbeitskleidung als Baumwollpflücker. Kupferstich von Nathaniel Orr für die Erstausgabe von 1855.

Stellen Sie sich vor, zwei freundliche Gentlemen ködern Sie mit einem lukrativen Geschäft, um Sie dann in Wirklichkeit an einen üblen Burschen zu verkaufen. Dieser verkauft Sie weiter und Sie müssen ohne Entgelt, unter zahlreichen Entbehrungen für Fremde in der Fremde ganz zwölf Jahre Sklavenarbeit verrichten. Sie gelten als verschollen.

Unwahrscheinlich? Keineswegs. Der frei geborene Afroamerikaner Solomon Northup erzählt uns diese Geschichte. Und sie ist wahr.

Sklaverei wird heute weltweit schwer bestraft. Es handelt sich dabei nach heutigem Recht um Freiheitsberaubung und Nötigung und vor allem um eine schwere Verletzung menschlicher Grundrechte.

Was so selbstverständlich klingt, war lange Zeit, bis in das 19. Jahrhundert hinein ein weit verbreitetes ungeahndetes Übel. Ein Übel, das trotz weltweiter Ächtung immer noch existiert. Nach UN-Schätzungen werden 50 Prozent des globalen Reichtums als unbezahlte Reproduktionsarbeit erbracht. Zumeist von Frauen. Zwangsarbeit existiert auch in Deutschland, in Form von Prostitution, Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, aber auch in der Privatwirtschaft (häusliche Pflege zum Beispiel). Die Auftraggeber von Zwangsarbeit erwirtschaften jährlich ca. 200 Milliarden Euro. Zahlen, die aber nur die bekannte Oberfläche zieren. Unter dieser bekannten Oberfläche existiert weiteres Übel.

Seit es Hochkulturen gibt, gibt es auch Sklaverei. Das Wort stammt unter anderem von dem griechischen Wort skyleúo ab, übersetzt: Kriegsbeute. Denn mit Hochkulturen geht auch die Sitte einher, sich gegenseitig zu überfallen, auszurauben, totzuschlagen und die überlebenden Unterlegenen zu versklaven. Menschenhandel ist das älteste Gewerbe der Menschheit. Der atlantische Sklavenhandel, der das Leben in Nordamerika bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bestimmte, geht zurück in das 16. Jahrhundert, dem Zeitalter der Kolonialisierung. Die Niederlande, Spanien und das Vereinigte Königreich beteiligten sich dabei rege. Der Unabhängigkeitskrieg der vereinigten Staaten (13 Kolonien), wurde finanziert durch Tabakhandel. Der auf Virginias Plantagen geerntete Tabak wurde an das postrevolutionäre Frankreich verkauft. Die Stimmen der patriotischen Abgeordneten, die prahlerisch von Freiheit und Gleichheit sprachen, und das Rasseln der Ketten an den Gliedern der armen Sklaven mischten sich beinahe. Ein Sklavenhof direkt im Schatten des Kapitols (Seite 39), beschreibt es Solomon Northup im Jahr 1853.

Kurz davor wurde der Roman Onkel Toms Hütte von Harriet Beecher Stowe veröffentlicht. Northups Schilderungen ähneln dem Roman sehr. Ihr hat er die Erstausgabe gewidmet.

Die Rechtfertigung derjenigen die Sklaverei betreiben, ist seit den alten Griechen immer die Gleiche: Die Menschheit wird unterteilt in Griechen und Barbaren. In Nordamerika galten Schwarze nicht als richtigen Menschen. In Deutschland waren es die Juden. Sie wurden Tieren gleichgesetzt.

Der amerikanische Historiker Ira Berlin unterscheidet dabei jedoch zwischen zwei grundlegend unterschiedlichen Formen von Sklaverei: nämlich zwischen »Sklavengesellschaften« und »Gesellschaften mit Sklaven«.

Die Gesellschaft der Plantagenbesitzer der amerikanischen Südstaaten vor dem Sezessionskrieg sei (Generations of Captivity) eine typische Sklavengesellschaft gewesen, die sich von Gesellschaften mit Sklaven, wie sie z. B. in der griechischen und römischen Antike bestanden, charakteristisch unterscheide.

Erstens beruhen in Sklavengesellschaften die zentralen Produktionsprozesse – im Fall der Südstaaten der Anbau von Zuckerrohr, Tabak, Reis und Baumwolle – auf der Arbeitskraft von Sklaven, während in der Ökonomie von Gesellschaften mit Sklaven die Sklaven nur eine marginale Rolle spielen.

Ein zweiter wichtiger Unterschied besteht darin, dass das Verhältnis »Herr – Sklave« in Sklavengesellschaften Modellcharakter annimmt und auch auf alle sonstigen sozialen Beziehungen (Mann – Frau, Eltern – Kind, Arbeitgeber – Arbeitnehmer) übertragen wird; in Gesellschaften mit Sklaven ist dies nicht der Fall. Infolgedessen bilden die Sklavenhalter in Sklavengesellschaften die herrschende Klasse, während sie in Gesellschaften mit Sklaven nur einen Teil der – umfassenderen – begüterten Elite ausmachten. (wikipedia.org)

Solomon Northup beschreibt dies auch genauso. Der Sklavenhalter Epps ist ein herrischer, in Hierarchien denkender Großgrundbesitzer. Und auf den Plantagen, an denen Northup Sklavenarbeit verrichtete, erwirtschafteten ausschließlich Afroamerikaner den Ertrag. Ohne die Sklaven wäre nichts mehr gegangen. Die Hierarchien: Der Aufseher ist immer weiß, die Treiber sind schwarz. Plantagenbesitzer sind weiß und sie sind nicht liberal. Die alten Griechen waren liberal. Und daher gibt es viele erfolgreiche Assimilationsgeschichten unter den Griechen und später auch unter den Römern. Ein demokratisches System führt zwangsläufig zu sozialen Überwerfungen mit Sklavengesellschaften, ohne dabei immer den Widerspruch zu erkennen, eine Gesellschaft mit Sklaven zu sein (Zwangsarbeit, Leibeigenschaft etc.).

Es war William Wilberforce, der in England im 18. Jahrhundert immer wieder gegen die Sklaverei kämpfte. Der überzeugte Darwinist ist ein Abolitionist der ersten Stunde. 18 Jahre dauerte sein Kampf. Erst 1807 war er erfolgreich und es kam zum »Slave Trade Act«, der den Sklavenhandel im vereinigten Königreich unterband.

Northups Geschichte schildert die Brutalität, die Verrohung, aber auch die kleinen Freuden. Es ist kein einseitiger Bericht, denn sein erster Besitzer (Ford) war ein anständiger Mann. Man konnte auch anders. Die längste Zeit jedoch verbrachte Northup alias Platt auf der Plantage von Epps. Tägliche Auspeitschungen, billige Nahrung (nur Speck und Maisbrot – immer), ein Brett zum Schlafen, kein eigener Besitz, keine Chance auf Bildung, nur schwerste Arbeit unter dauernden Drohungen und übelsten Züchtigungen. Und das Ganze grade mal vor 150 Jahren in einem Land, das seinen Rassenhass immer noch nicht überwunden hat. Solomon Northup schreibt ergreifend, packend aber auch mit seiner eigenen Note. Es ist ein differenzierter Bericht, der – mit scharfem Auge beobachtet – sogar Zeit findet, die komplexen Vorgänge auf den Plantagen zu schildern, die Unterschiede zwischen Zuckerrohr- und Baumwollernte, die Lebensbedingungen detailliert darstellt. All die namenlosen Sklaven bekommen ein Gesicht, eine Persönlichkeit.

Vor 150 Jahren, tief im Süden Nordamerikas, irgendwo in diesem Sumpfgebiet, Mücken, Hitze, Peitschenknallen – wir kennen diese Bilder aus unzähligen Filmen. Und doch zeigt Northups Bericht über diese Farbfilm-Bilder in unserem Kopf hinaus. Wenn er zum Beispiel erzählt, wie er sich ein Stück Papier besorgt unter größter Gefahr, wie er sich selbst Tinte macht und mit einem Entenfederkiel einen Brief schreibt, heimlich, nachts bei Kohlenfeuer. Und diesen Brief aus Angst entdeckt zu werden, verbrennen muss, dann streicht das jedem halbwegs zu Empathie fähigen Menschen einen Schauder über den Rücken. Ein emotionaler Peitschenhieb. Die Würde des Menschen ist unantastbar! Northup schreibt ganz konkret, was es heißt, diese Menschenwürde anzutasten.

Im Jahr 2013 entdeckte der Regisseur Steve McQueen den Stoff und verfilmte ihn. Der Film bekam einen Oskar als bester Film 2014. Mehr oder weniger zeitgleich erschien der Text daraufhin in zwei deutschen Übersetzungen. Neben dem »Buch zum Film« im Piper Verlag machten sich ein Buchgestalter und eine Übersetzerin über den Weg des Self-Publishings daran, den Text in zwei Teilen ebenfalls auf Deutsch zu veröffentlichen. Da die Originalausgabe aus dem Jahre 1853 nicht mehr urheberrechtlich geschützt ist, sind Übersetzungen problemlos möglich. Das Original ist als E-Book kostenlos erhältlich.

Northup, Solomon: 12 Years a Slave. E-Book-Ausgabe des amerikanischen Originals.  » Kostenlos herunterladen auf archive.org

Deutsche Ausgabe I: Derzeit keine Titelinformationen vorhanden.

Deutsche Ausgabe II: Solomon Northup; Johannes Sabinski (Übersetzung); Alexander Weber (Übersetzung): Twelve Years a Slave: Die wahre Geschichte. Taschenbuch. 2014. Piper Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783492306140. 12,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

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