Berlin, Podewil, 26. Februar 1999:

Games, Kunst, Literatur und Berlin
Wolfgang Tischer über den Freitagabend im Podewil

Mit der Terminologie nahm es die Softmoderne noch nie sehr genau. Da vermengen die Veranstalter schon mal Literatur im Netz und Netzliteratur und oftmals meint man schlichtweg Hypertext, wenn von den neuen Möglichkeiten der Literatur im Internet und anderswo die Rede ist.
     Aber eigentlich ist dies nicht relevant, denn die Softmoderne will keine akademische Veranstaltung sein, sondern sie versteht es auch in diesem Jahr, das Thema »elektronische Literatur« anhand konkreter Projekte in seiner Breite exemplarisch zu präsentieren. Doch selbst der Begriff »elektronische Literatur« wird den drei vorgestellten Projekten nicht gerecht. Vielmehr geht es um Geschichten und (literarische) Erlebniswelten, die mit aktuellen aber auch älteren Techniken umgesetzt werden.

Eku WandEku Wands »Berlin Connection« ist auf den ersten Blick ein normales Adventure-Game, bei dem man per Klick auf Bilder und Symbole Rätsel und Aufgaben lösen muss. Eingebettet ist diese Geschichte jedoch ins Berlin zur Zeit des Mauerfalls und so trifft man immer wieder auf echte Video- und Tondokumente aus dieser Zeit. Wand ist es gelungen, diese Elemente in die Geschichte einzubauen, ohne dass dem ganzen ein Hauch von Lernsoftware anhängt. Die Selbstverständlichkeit dieser Verbindung ist beeindruckend. Dabei wird der Verlauf der Geschichte auch durch Zeitreisen unterbrochen. Dennoch, so Wand, sei es wichtig, dass auch eine interaktive Geschichte einen definierten Anfang und ein Ende hat. Nur so bleibt sie spannend. Bewusst sei man bei »Berlin Connection« nicht an den Rand des technisch machbaren gegangen, was auch der finanzielle Rahmen nicht erlaubt hätte. Auch hier lag das Hauptgewicht auf der Geschichte und nicht auf perfekten 3D-Animationen.
     Bemerkenswert auch, dass es eine Internet-Site gibt, auf der die Geschichte ergänzt und teilweise weitergeführt wird. Gerade auch diesen Aspekt findet Wand sehr spannend, zumal er hier mit der Verbindung zwischen Fiktion und Realität arbeiten kann. Demnächst werden wir »Berlin Connection« im Café nochmals ausführlicher besprechen.

Christine BöhlerNach der multimedialen »Berlin Connection« ging es danach eher um »low tech« wie es Christine Böhler aus Wien formuliert. Sie präsentiert die Lichtzeile, eine zehn Meter lange Laufschriftleiste, die jetzt im Wiener Jugendzentrum Flex installiert ist. Dort huschen Texte in roter Schrift vorbei, die entweder speziell von Autoren verfasst wurden, die aber auch seit letzem Jahr von jedermann per Internet in Wien zur Anzeige gebracht werden können. Christine Böhler gewährt uns bei ihrer Präsentation auch einen Blick hinter die Kulissen und zeigt, dass sämtliche Beiträge gesammelt und archiviert werden und ein Suchsystem zur Verfügung steht, um die flüchtig vorbeiwandernden Texte in der Datenbank wieder aufzuspüren. Leider ist dieses Stöbern in der Flüchtigkeit der Worte den Administratoren vorbehalten.
     Niemand betrachte die Lichtzeile ununterbrochen über mehrere Minuten, doch gerade bei flüchtigen Blicken auf die Wortfetzen, die aus der ganzen Welt auf die Lichtzeile geschickt werden, entstehe eine völlig neue Definition von Hypertext, indem Klicks und Links durch Blicke ersetzt werden.

Das dritte Projekt, welches an diesem Abend von Stefan Schemat präsentiert wird, realisiert das Prinzip der Klanginstallation mit neuesten technischen Mitteln. Um in diese Klangwelt einzutauchen, benötigt man eine spezielle Weste, in die ein GPS-Empfängers integriert ist, sodass ein angeschlossener Computer errechnet, welche Klänge aus welcher Richtung per Kopfhörer simuliert werden. So kann jeder beliebige Ort mit Klängen versehen werden, die eine zweite akustische Realität erzeugen. Da das menschliche Gehör die Richtung, aus der ein Klangsignal kommt, bis auf drei Grad genau bestimmen kann, lässt man sich so durch die Geräusche leiten. Dieses System, mit dem in Hamburg beispielsweise auch ein Reiseführer für den Hafen realisiert wurde, ist in Berlin für eine Klangcollage verwendet worden, die auf Döblins Roman »Berlin Alexanderplatz« beruht. Dabei durchwandert man die realen Schauplätze des Romans und hört über Kopfhörer die vom System für diesen Ort bestimmten Geräusche bzw. wird von diesen geleitet – so man will. Was Schemat theoretisch erläuterte, soll am Samstag um 15 Uhr erstmalig vor Ort uraufgeführt werden. Ausgangspunkt wird der U-Bahnhof Rosenthaler Platz sein (Bericht).

Nach der Pause endete dann der künstlerisch-literarische Teil des Abends, und man widmete sich in einer Podiumsdiskussion dem Thema »Berlin im Netz«. Sascha Korb, als Vertreter der Konzerne DaimlerCrysler (debis) und Metro, die nun das Angebot www.berlin.de betreiben, übte sich dabei in Selbstanklage, indem er die technischen und inhaltlichen Pannen des letzen Jahres offen zugab und Besserung gelobte; die Taktik also, mit der auch Shell nach dem Brent Spar Debakel an die Öffentlichkeit trat, um wieder Sympathien zu sammeln. Ich möchte, so Korp, in diesem Jahr nicht mehr so viel lügen wie im letzen Jahr.

Podiumsdiskussion
Was will Berlin im Netz? (v. l.: Albrecht Göschel, Sascha Korb, Hilmar Schmudt, Claudia Ahlsdorf, Martin Potthoff, Thomas Schweer)

Die Vertreter des alternativen Projektes www.open-berlin.de versuchen eine Alternative zu www.berlin.de zu bieten, wobei wärend der Diskussion leider nicht ganz klar wurde, worin diese nun eigentlich besteht. So versank die Diskussion weitestgehend in den üblichen Schlagworten und Luftblasen (E-Commerce, Communitys etc.), wäre da nicht noch Albrecht Göschel vom Deutschen Institut für Urbanistik auf dem Podium gesessen, der zu Beginn seines Statements betonte, dass er von den technischen Dingen keine Ahnung habe, dass es jedoch auch durch die Präsentationen im Internet nicht schaffen werden, aus Berlin eine echte Metropole zu machen. Berlin sei eine große Stadt, mehr aber auch nicht.

Wolfgang Tischer
26.02.1999


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