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Zwei Kritiken, ein Urteil: »Federico Temperini« von Theres Essmann

»Federico Temperini« von Theres Essmann
»Federico Temperini« von Theres Essmann

Zwei Kritiker bekommen die Novelle »Federico Temperini« von Theres Essmann zugeschickt. Daher gibt es zu diesem Buch zwei Kritiken, die zwar verschieden aber gleich sind.

»Ein Kandidat für jedweden kommenden Buchpreis«

Malte Bremer über die Novelle »Federico Temperini« von Theres Essmann

Gegen zehn Uhr morgens erreichte mich ein gepolsterter Umschlag, darin dieses Werk. Ich hatte gerade gefrühstückt und Zeit, setzte mich in den Lesesessel und fing an zu lesen.

Um kurz nach fünf war ich durch, ließ das Buch sinken und wischte mir die Tränen aus den Augen: Was war denn das? Sowas hatte ich schon lange nicht erlebt, hatte überhaupt vergessen, dass es so ein Lesefieber gibt, das einen alles um sich herum vergessen lässt! Dieser Taxi-Chauffeur Jürgen Krause, der den höchst eigenartigen Federico Temperini zu Konzerten fährt, manchmal sogar dabei ist, aber privat in einer Beziehungskrise steckt: Das ist alles so fein, so selbstverständlich gewoben, so sauber und feinfühlig erzählt: Einfach nur überwältigend! Für mich ist diese Novelle ein Kandidat für jedweden kommenden Buchpreis!

Dazu überaus passend das Titelbild: Eine geöffnete Hand, als hielte sie den Hals einer Geige oder nähme etwas entgegen oder böte etwas an, wie z. B. dieses Buch. Lesen!

PS: Ein kleiner, aber wohl notwendiger Hinweis für alle, die im Norden Deutschlands leben: In Süddeutschland laufen die Menschen pausenlos, aber nicht etwa, weil sie gehetzt sind, sondern weil im Süden laufen einfach nur gehen bedeutet. Da sollte Lektor:in eigentlich eingreifen, um alberne Missverständnisse zu vermeiden!

Malte Bremer

»Nichts Überflüssiges wird hier erzählt, kein Wort zu viel«

Wolfgang Tischer über die Novelle »Federico Temperini« von Theres Essmann

Jürgen Krause bekommt sein Leben nicht auf die Reihe. Das Studium hat er nie abgeschlossen, seit 15 Jahren fährt er Taxi. Frau und Kind leben mittlerweile in einer anderen Stadt, und seine größte Angst ist es, dass sein Sohn den Stiefvater mehr lieben könnte als ihn.

Doch dann wird Krause regelmäßig von Federico Temperini als Chauffeur gebucht. Temperini ist stets schwarz gekleidet, hager und vermutlich um die 80 Jahre alt. Er lässt sich zur Philharmonie fahren, redet viel über den »Teufelsgeiger« Niccolò Paganini und wenig über sich.

In ihrem Debüt, das als »Novelle« bezeichnet ist, schildert Theres Essmann das seltsame Verhältnis zwischen den beiden Außenseitern. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive Jürgen Krauses.

Es ist ein feines Beziehungsgespinst, das Essmann hier aufbaut, in dem es außer den beiden Hauptfiguren nur kleinere Nebencharaktere gibt. Viel liegt in den gut konstruierten Dialogen, in denen der eine häufig fragt und der andere in seinen Antworten ausweicht und wir als Leser oder Leserin umso mehr erfahren, selbst wenn wir bisweilen nichts erfahren. Essmann streut Infos über Paganini ein, ohne dass die Infohäppchen nerven, sind sie doch wichtige Elemente der verbalen Ausweichstrategie Temperinis. Und was ist mit Temperinis linker Hand, die er die meiste Zeit verbirgt? Die musikalischen und oft vernichtenden Urteile des alten Konzertbesuchers, wirken beeindruckend, selbst – oder geraden dann – wenn wir so wenig von Musik verstehen wie Jürgen Krause.

In der präzise gearbeiteten Geschichte bekommen wir Stück für Stück mehr vom Leben des Federico Temperini enthüllt und von dem des Taxifahrers Jürgen Krause, dessen Vater bereits eine Limousine durch Köln gefahren hat. Nichts Überflüssiges wird hier erzählt, kein Wort zu viel. Lediglich die Fünf-Freunde-artige Schlusssequenz hätte nicht sein müssen und der Versuch, an die Novelle eine Art Happy-End zu setzen, hätte ebenfalls nicht sein müssen.

Schade, dass die Umschläge des Verlags Klöpfer, Narr trotz gutem Papier und Lesebändchen so hässlich gestaltet sind in Farbgebung, Typografie und vor allen Dingen mit den kinderbuchartigen abwaschbaren bedruckten Pappumschlägen.

Gute Literatur, wie die von Theres Essmann, sollte besser verpackt sein.

Wolfgang Tischer

Theres Essmann: Federico Temperini. Novelle. Gebundene Ausgabe. 2020. Klöpfer, Narr GmbH. ISBN/EAN: 9783749610266

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