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Bis dass der Tod Euch scheidet? Etwa 9 Jahre dauert in Deutschland durchschnittlich eine Ehe, bevor sie – meist durch Scheidung – wieder gelöst wird. Das Wissen um die Statistik der Liebe sollte das klassische Treueversprechen eigentlich verbieten. Bei (Kerzen-) Licht besehen verleitet es doch gerade den an sein Versprechen sich gebunden oder gefesselt Fühlenden zum Meuchelmord am Ehepartner – für den statistisch eben nicht unwahrscheinlichen Fall progressiver Paarentfremdung. Auf solche Gefahren weist auch die evangelische Kirche St. Jacobi in Braunschweig auf ihrer Website hin: »Die Ehe ist mannigfaltigen Bedrohungen ausgesetzt. Durch die zunehmende Lebenserwartung hat sich die mögliche durchschnittliche Lebensdauer einer Ehe von ca. neun Jahren (im 19. Jahrhundert) auf heute mehr als 40 Jahre erhöht. Genug Zeit, um sich nicht nur einmal, sondern zweimal oder mehrfach zu verlieben... Muss das alles so sein? Gibt es nicht bessere Wege? Muss eine neue Liebe automatisch das Ende der alten Liebe bedeuten?« Ja oder Nein oder Ja. Albert und Edelgard, ich kenne die beiden seit 2 Jahren, gingen in ihrer Ehe einen neuen, gewöhnungsbedürftigen Weg, der mir zeitgemäßer erscheint. Die beiden hatten vor 5 Jahren geheiratet und in ihrem Ehevertrag dafür explizit eine Laufzeit von 6 Jahren festgeschrieben. Eine Zeitspanne, innerhalb derer das Funktionieren des fragilen Emotionsapparates guten Gewissens gewährleistbar schien. Die Idee dazu hatte Albert, der sich das Prinzip des zeitlichen Liebesmandats aus der Welt der Wahl- und Amtsperioden zum Vorbild genommen hatte. Kopulieren für eine Liebeslaturperiode und sich danach - vielleicht - vom Partner für weitere 6 Jahre erwählen lassen, also Realismus contra romantischer Utopismus. Wie begründet Albert Realismus war, zeigte sich nun: 1 Jahr vor Ablauf ihrer Liebeslaturperiode sprach Edelgard ihrem Gatten ein konstruktives Misstrauensvotum aus. Ziel: die vorzeitige Auflösung ihrer einstmals rosenroten Koalition. Innerhalb der letzten Monate sei es zunehmend schwerer geworden, geplante Vorhaben gemeinsam umzusetzen. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten sei aufgebraucht. Tief enttäuscht erfuhr Albert über Dritte dann auch noch, dass seine Partnerin in den vergangenen Wochen Geheimgespräche mit Guido geführt hatte - offenbar mit dem Ziel, eine neue Koalition anzubahnen. Guido, früher ein enger Freund, heute politisch im anderen Lager. Welch ein Verrat! Albert will sich dem konstruktiven Misstrauensvotum seiner Gattin weder stellen noch beugen, aus seiner Sicht liege keine außergewöhnliche Lage vor, die einen solchen Schritt rechtfertige, er beharre auf Vertragserfüllung bzw. der vollen Laufzeit des gemeinsamen Liebesmandats. Statt auf Stalking zu setzen, will er auch in schwieriger Lage ein legalistischer Lover bleiben: »Notfalls rufe ich das höchste Gericht an.« Wilhelm Weller |