Wellers Wahre Worte am Café Tisch
Oktober 2005 - Die monatliche Kolumne von Wilhelm Weller


Hurricane Hunter

Als Schwarzfahrer auf der Fährte der Gefahr

Wilhelm Weller


Sage mir keiner, dass es in Deutschland einen Hurrikan nicht geben kann. Von wegen gemäßigte Breiten. 
     Am 23. August 2004 wurde ich in der Nähe von Rosenheim  Zeuge einer gefühlten Windgeschwindigkeit  von ca. 250 km/h. Ich hatte mich mit ganzem Oberkörper aus dem Fenster eines fahrenden ICE herausgelehnt. Später wurde mir vorgeworfen, zuvor mit dem Notfallhammer ohne zwingenden Grund eine Scheibe des Intercity eingeschlagen zu haben.
     Ich frage: Ist es kein Notfall, von einem unfreundlich wirkenden Schaffner penetrant nach der Fahrkarte gefragt zu werden? 
     Bedauerlicherweise hatte man für meine Warnungen kein Ohr. Nachdem mich der erwähnte Schaffner zusammen mit zwei herbeigerufenen Kollegen an meinen Füßen in das relativ windstille Zugabteil zurückgezogen hatte, versuchte ich in ruhigem Tonfall, alle drei von der draußen dräuenden Gefahr zu überzeugen. 
     Ich stellte jedoch schnell fest, dass man allein an meiner momentan nicht auffindbaren Fahrkarte interessiert war und ansonsten die eingeschlagene Scheibe beklagte. 
     Dass all das in keiner Relation zu den immensen Schäden stand, die der von mir gerade wahrgenommene Hurrikan out of Rosenheim für die ganze Region bringen konnte, versteht sich von selbst. 
     Statt mich aber für Wetterbeobachtungen auszuzeichnen, die ich unter Gefahr für Leib und Leben angestellt hatte, wurde ich danach von diversen Kleingeistern verfolgt, die eine Geldstrafe eintreiben wollten und Schadenersatz für die zerborstene ICE-Scheibe verlangten. 
     Wer mag sich in diesem Land noch für öffentliche Belange einsetzen, wenn der Lohn nicht Anerkennung, sondern Strafe und Stigma ist? 
     Zum Glück organisieren sich von den Graswurzeln her wohlmeinende Individualisten in alternativen Formen und Foren, so auch im noch jungen EOTM („European Open Train Movement“).
     Dort erfuhr ich dann, wenn auch etwas verspätet, Anerkennung für mein mutiges Auftreten im ICE „Donnervogel“. Im Rahmen einer Feierstunde in der Bahnhofsgaststätte von Aachen wurde mir nun am 1. Oktober 2005 mit einiger Verspätung unter dem Applaus der zahlreich Versammelten der erstmals gestiftete „Schwarzfahrer des Jahres“ verliehen.
     Auch in schier aussichtsloser Situation habe ich noch einen Ausweg versucht und dabei wichtige meteorologische Erkenntnisse gewonnen.
     Mein Vorbild habe insbesondere junge Leute zur Mitwirkung bei Wetterbeobachtung und Wetterprognose angespornt - gerade während sonst nutzlos verbrachter Zeiten in fahrenden Zügen. Die von Hurrikans auch in Deutschland drohende Gefahr sei so endlich in das Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit gelangt. Ich gebe es zu: Nun bin auch ich stolz auf mich.

Wilhelm Weller


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