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Der Tod von Johannes Paul II brachte es an den Tag: Es gibt eine Renaissance des Religiösen. Was lange Zeit ausschaute wie ein auf den Islam beschränktes Phänomen, erweist sich als eine alle Religionen und Kulturen umspannende Rückbesinnung auf die spirituellen Wurzeln des Menschen. Man musste nicht die trauerfeiernden Massen auf dem Petersplatz sehen, um die Zeichen zu deuten. Schauen Sie sich in irgendeiner deutschen Großstadt um, zum Beispiel in der Kaufinger Straße in München. Gewiss, fast jedes Kopftuch verrät eine tiefgläubige Seele. Aber auch der scheinbar frech entblößte Bauchnabel? Man urteile nicht zu schnell. Bei genauerem Hinsehen könnte sich ein Tattoo mit religiöser Symbolik zeigen, ein am Hals baumelndes Kreuz oder auch verborgene kabbalistische Accessoires. Und weiß man, welche aus einem winzigen MP3-Player strömende Musik den jungen Menschen wirklich verzückt? Es könnte sich gut und gerne um die Johannespassion von Bach handeln, den Messias von Händel oder ein Oratorium von Haydn. Man schaue sich weiter im Web um: Dort finden sich mittlerweile nicht nur religiöse Statements der Taliban, auch selbstbewusste Bekenntnisse zu unserem deutschen Kardinal Ratzinger (»Ratzy«) machten Schlagzeilen. Natürlich drücken übrigens auch wir ihm die Daumen für das kommende Konklave. Denn man stelle sich das nur vor: 1 Milliarde katholische Gläubige unter Führung eines (oberbayrischen) Deutschen. Das verspricht mehr, als ein Sitz im Uno-Sicherheitsrat halten könnte. Ein besonders liebenswürdiges Beispiel für den neuen Chic des Religiösen erlebte ich vor wenigen Tagen in einer Münchner Gaststube, in die wir zu später Stunde einkehrten - nach Franka Potentes neuem anregenden Film »Creep«. Zunächst fürchtete ich ein Feuer, als weißer Rauch aus den Ritzen einer verschlossenen Tür drang. Zu meinem Erstaunen kam aus einer anderen Ecke Applaus auf. Kurz darauf öffnete sich die Tür und ein fülliger, rotgesichtiger Mann mittleren Alters trat heraus. Nun sah ich, dass der weiße Rauch aus einem Blecheimer emporstieg, in dem offenbar Papier verbrannt wurde. »Habemus papam!« verkündete der Rotgesichtige feierlich. Der Skatverein SC Pumuckel hatte einen neuen Vorsitzenden. Das erfuhr ich kurz darauf von den anderen Gästen, die über die ungewöhnliche Zeremonie schon vorher informiert waren. Nach dem Tod des Papstes wollten die Mitglieder des Skatvereins so ein Zeichen der Verbundenheit mit der katholischen Kirche setzen. Keine Frage, dass sie alle am 18. April wieder in ihrer Wirtsstube versammelt sein werden, wenn das römische Konklave, besser gesagt: sein Ergebnis auf einer großen Beamerleinwand übertragen wird. Wetten, dass Ratzy gewinnt? Wilhelm Weller |