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O und Ö in Amerika
von Nina Stögmüller

Ganz, ganz früher, als es für Buchstaben noch nicht üblich war in Büchern oder Zeitschriften zu reisen oder über Datenleitungen zu flitzen, da schwammen viele von ihnen noch. Und weil O und sein Bruder Ö so gute Schwimmer waren schafften sie es bis über den großen Teich. Sie schwammen nach Amerika.
     Ihre Freude war groß als sie an der Ostküste, wie sich später herausstellte in New York, angeschwemmt wurden. O und Ö beschlossen, sich sofort auf den Weg zu machen um sich mit anderen Buchstaben bekannt zu machen um sich mit ihnen in Familien, sprich in Wörtern und Sätzen, ja vielleicht auch in ganzen Aufsätzen, Kurzgeschichten, Artikeln oder Büchern zusammen zu schließen.
     Da die Heimat von O und Ö die deutsche Rechtschreibung war, hatten sie Anfangs große Verständigungsprobleme. O fand sich leichter zurecht. Er fühlte sich in so vielen Wörtern zu Hause. Some, John, son, to, most, host, home, ... Es gab wirklich viele Möglichkeiten für O. Manchmal gab er sich auch als Null aus. Als Ziffer erschien er dann am liebsten in Millionen-Dollar-Beträgen.
     Für Ö sah es da schon weniger gut aus. Es gab ihn einfach nicht im Englischen.
     »Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich zu Hause geblieben!« Ö war enttäuscht. Einsam lungerte in den Straßen New Yorks herum und suchte nach einer Buchstabengruppe die zu ihm passte um endlich in einem sinnvollen englischen Wort vorkommen zu können.
     Ö wartete vergebens. Sein Bruder O ließ es sich derweilen gut gehen. Er wechselte die Worte wie die Menschen die Unterhosen und genoss das Buchstabenleben in ganzen Sätzen. Ab und zu besuchte er seinen Bruder Ö, der noch immer wortlos dahin sichte.
     »Das Leben hat keinen Sinn mehr ohne Worte!«
     »Nimm's doch nicht so tragisch, immerhin bist du ein Selbstlaut.«
     O wollte Ö Mut machen, obwohl er selbst wusste, dass die Lage seines Bruders in der englischen Sprache aussichtslos war.
     Aber eines Tages hatte O eine fantastische Idee.
     »Ö, was hältst du davon, wenn du deine zwei Punkte über dir meinen Freunden klein e und g schenkst. Sie hatten kürzlich eine tolle Idee. Sie wollten ihre Bedeutung in der oft gebrauchten Wortgruppe example given hervorheben und fordern in Zukunft auch abgekürzt mit einem Punkt erscheinen zu dürfen. Da diese Idee schon viele andere Redewendungen und Wortgruppen vor ihnen hatten, gibt es heute in ganz New York keinen einzigen freien Punkt mehr. Ja, Punkte sind heute wirklich rar geworden.«
     »Ich weiß nicht O, wie soll ich denn meine Punkte loswerden, das geht doch gar nicht.«
     »Ich habe neulich von einem Ü gehört, das so lange auf dem Kopf herum gehüpft ist, bis die Punkte weg waren.«
     »So ein Blödsinn. Und das glaubst du? Dir haben sie mit den vielen englischen Wörtern wohl schon den Kopf verdreht!«
     Obwohl Ö nicht an die Ü-Geschichte glaubte, stellte er sich trotzdem auf den Kopf und versuchte herum zu hüpfen Â? und siehe da, die Punkte vertschüssten sich wirklich. Sie machten sich einfach selbstständig.
     Ur-O rief ihnen noch hinterher: »E und g warten schon auf euch!«
     Angeblich haben die klugen Ö-Punkte aber 1. und 2. erfunden. Sehr gscheit!
     Ex-Ö war überglücklich, endlich seine Punkte los zu sein. Die Welt der englischen Worte stand ihm nun offen. Nachdem sich O und O in verschiedenen Zeitungen und Büchern gemeinsam so richtig ausgetobt hatten, kam Ur-O auf eine blendende Idee. Im Doppelpack erfand das Brüderpaar OO und wurde mit dieser Bezeichnung des stillen Örtchens weltberühmt.

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