BUCHSTABENSUPPE Suppentasse
Das Online-Projekt
des literaturcafe.de

  
Der Buchstabe M
von Sigrid Carstens

Mollig ist sie, er ist dick. Molle nennt er sie infolgedessen, sie sagt Dicker konsequent Dicker zu ihm. Morgen werden sie sich wieder streiten ? um das letzte Brötchen, bevor sie es sich einträchtig teilen, jeder die Hälfte. Mittagessen fällt heute aus, dafür gibt es ein reichliches Abendbrot, das für fünf Leute reichen würde. Mal nicht den Teufel an die Wand, sagte er, als sie ihm die Blödzeitung reichte, auf der meterhoch die Überschrift prangte: Mann, vier Zentner schwer, starb an Überfettung und Trunksucht. Mal einen Kleinen trinken schadet nichts, fügte er hinzu, watschelte zum Kühlschrank und holte sich die zehnte Flasche Bier.
     Man musste zugeben, dass Molle nicht trank, ausser morgens zwei Liter Espresso und nachmittags dasselbe noch einmal, dazu mehrere Stücke fette Torte, wie sie sie beide liebten. Mamucco, der Ernährungsspezialist im Fernsehen, sagte ja immer, man solle zwei Liter Flüssigkeit pro Tag zu sich nehmen, diese Menge überschritten sie locker.
     Mal sehen, wer von uns beiden älter wird, sagte er, erhob sich schnaufend, um eine neue Flasche Bier zu holen und rang plötzlich nach Luft. Mir wird mulmig, konnte er noch hauchen, dann warf er die Patschhändchen in die Luft und brach tot zusammen.
     Molle war wie erschlagen. Mir wird auch schlecht, dachte sie und beugte sich über den Tisch , um noch ein wenig von dem wunderbar fetten 80 % igen Käse zu naschen, ehe sie zu Leiche wankte. War ihr aber schon vorher schlecht gewesen, so wurde ihr noch schlechter. Morgen ist auch noch ein Tag und das Leben geht im übrigen weiter, konnte sie noch denken, ehe ihr schwarz vor Augen wurde und jeder Gedanke ihr vollends abhanden kam.

© 2002 by Sigrid Carstens. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

ZurückWeiter