»Die Karten werden neu gemischt«

Interview mit dem Veranstalter der Softmoderne3 Stephan Poromka über die Zukunft der Netzliteratur

Stephan Porombka (29) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Germanistik der Freien Universität Berlin. Dort schreibt er auch an seiner Doktorarbeit über die Geschichte des Hypertextes. Zusammen mit Hilmar Schmundt organisierte er Anfang September in Berlin die Softmoderne3, das Festival der Netzliteratur.
     Mit Stephan Porombka unterhielten sich Johannes Näumann und Wolfgang Tischer.


Literatur-Café: Die Softmoderne3 hat sehr gut die Bandbreite des Themas Netzliteratur aufgezeigt. Wie ist Ihr ganz persönlicher Eindruck von der derzeitigen Lage der Netzliteratur?

Stephan Porombka beim InterviewPorombka: Ich habe den Eindruck - den der Literaturwettbewerb der »ZEIT« übrigens bestätigt hat -, dass der »Hype« dieser Literatur so ziemlich weg ist. Es wäre zu hart, zu sagen, der Lack sei ab, aber immerhin bröckelt er, und man sieht eine Menge Blech darunter durchschimmern. Wenn man die Softmoderne als Veranstaltung über die Jahre hin verfolgt, dann lässt sich sehen, dass man in den letzten beiden Jahren die Leute noch mit dem Schrecken und der Faszination am Neuen locken konnte. Spätestens in diesem Jahr geht das nicht mehr. Das WWW ist so in den Alltag hineingewachsen, dass man die Texte, die man dort lesen kann, nicht mehr als etwas Besonderes behandelt. Man schaut viel kritischer auf das, was da produziert wird. Und jetzt begreift man, dass das bisherige Staunen und Raunen nicht mehr ausreicht und dass man neue Kriterien, griffige Kriterien entwickeln muss - oder dass man sich überhaupt ganz andere Gedanken zu dieser Art von Literatur machen muss. Wir befinden uns deshalb in einer Zwischenzeit und die Karten werden neu gemischt.

Literatur-Café: Kommt also nach der Begeisterung jetzt die Theorie?

Porombka: Ich glaube, dass die Theorie vor der breiten Begeisterung da war und zur Begeisterung ihren Teil beigetragen hat. Das, was Internet-Literatur genannt wird, hat diesen Ballast an Theorie und an Ansprüchen immer noch mit sich herumzuschleppen. Und es zeigt sich, dass es dem einfach nicht gewachsen ist, aber auch nicht gewachsen sein muss. Doch das müssen wir erst in unsere Köpfe hineinbekommen, dass die großen Utopien, deren Erfüllung uns mit dem Internet versprochen worden ist, sich am konkreten Literatur-Beispiel auch nicht ein Stück weit einlösen lassen. Deswegen ist es für viele sehr einfach, sich über die Texte lustig zu machen und zu sagen, sie seien doch angesichts des ganzen Theorieaufwands, der um sie gemacht wird, äußerst schwach. Aber im Grunde zeigt sich daran das Problem, dass wir uns von den großen Ansprüchen und großen Utopien verabschieden müssen, als Autoren ebenso wie als Kritiker und Beobachter der Szene.

Literatur-Café: Ein Kritikpunkt an den Beiträgen des Zeitwettbewerbes war die mangelnde Qualität vieler Beiträge. Heißt das, dass es diese Qualität bei den jetzigen Strukturen des Internets vielleicht einfach nicht geben kann, beispielsweise deshalb, weil der Netzautor kein Geld damit verdient und daher kein Interesse besteht, für dieses Medium zu schreiben?

Porombka: Geld wirkt natürlich immer als Motivationsmittel. Wo Geld gezahlt wird, sind die Leute motiviert. Und das ist im Bereich der Literatur nicht anders als anderswo. Deshalb werden wir darauf warten müssen, dass sich andere Stellen dieser Literatur annehmen. Man muss sich doch nur einmal den Aufwand anschauen, der zu leisten ist, wenn man einen guten Hypertext produzieren will. Wenn man da nicht von vornherein in einer Gruppe plant und hart arbeitet, ist das Unternehmen wohl zum Scheitern verurteilt. Man braucht jemanden zum Programmieren, jemanden für das Interface, jemanden für den Inhalt und jemanden für die Verknüpfungsstrategien. Wer versucht, das ganz allein zu machen, der braucht entweder Jahre dafür, oder er produziert ganz einfach einen schlichten oder schlechten Text. Ich war ja erstaunt, dass so wenig Gruppen Arbeiten beim Literaturwettbewerb eingereicht haben. Wahrscheinlich wirkt hier immer noch das alte Bild von einem großen Autor der Buchkultur nach. Ich denke, dass gute von Gruppen erstellte Internet-Literatur erst dann produziert werden kann, wenn die Arbeit von einem Verlagskonzept getragen wird - und natürlich von einer literarischen Öffentlichkeit, die bereit ist, für ihre Textlektüre auch mehr als nur Telefongebühren zu zahlen.

Literatur-Café: Bei der Diskussion um den Zeit-Literaturpreis wurde auch der Ruf nach eindeutigen Bewertungskriterien laut. Läuft das nicht der Kreativität zuwider?

Stephan Porombka beim InterviewPorombka: Das ist eine schwierige Frage. Ich habe nichts gegen Kriterien und Regeln. Und ich verstehe auch den Aufstand der Teilnehmer am Wettbewerb nicht, dass sie es in Bausch und Bogen ablehnen, dass ihre Texte mit Kriterien und Regeln konfrontiert werden. Natürlich habe ich etwas gegen Kriterien und Regeln, wenn man sie einhalten muss, wenn irgendjemand sagt, so und so muss Internet-Literatur aussehen. Aber bitte - wer kann das denn über den bloßen Anspruch hinaus durchsetzen. Es gibt ja keine Sanktionen. Eine Jury aber muss Kriterien und Regeln vorläufig für ihren bestimmten Wettbewerb setzen, weil sie ja sonst gar nicht entscheiden kann - aber das sind dann natürlich nur temporäre Vorgaben, die zwar mit 10.000 DM verknüpft sind, aber niemanden wirklich verpflichten.
     Was ich im Moment beobachte, ist eine ganz neurotische Fixierung auf die Jury der ZEIT und auf die Literaturprinzipien der ZEIT. Was das Feuilleton der ZEIT betrifft, da haben wir uns doch längst daran gewöhnt, zu sagen, dass das eine Zeitung unter vielen ist und dass hier nicht der Wahrheit letzter Schluss gedruckt wird. Kaum einer kümmert sich wirklich um einen Verriss oder um eine der indifferenten Stellungnahmen in der ZEIT. Schon gar nicht die Zahnärzte, die das Blatt am liebsten abonnieren.
     Die ZEIT und IBM wollten mit dem Wettbewerb eigentlich nur ein bisschen was vom Licht der Avantgarde auf sich fallen lassen. Die haben sich gedacht: Wir präsentieren uns als Förderer der neuesten der Neuen Literatur und werden damit für die Trendsetter überhaupt gehalten. Nun ist das, was beim Wettbewerb herausgekommen ist, aber nichts, womit sich die ZEIT und IBM wirklich schmücken könnten. Die Zahnärzte fassen sich doch an den Kopf, wenn die sehen, wofür da Geld ausgegeben wird. Und da haben die nicht mal Unrecht. Und weil die das jetzt alle merken, deshalb maulen und mäkeln die jetzt ein bisschen rum und sagen, dass ihnen eigentlich so gut wie alles, was der Netzrichtung kommt, nicht richtig passt und dass sie sich doch ganz was anderes vorgestellt hätten.
     Aber das ist ein Problem der Veranstalter dieses Wettbewerbs und keines der Internetliteratur oder der Internetliteraten. Wer's nicht mag, wie die Kriterien von dort aus gesetzt werden, dem empfehle ich, sich ganz einfach nicht da um einen Preis zu bewerben.

Literatur-Café: Wird sich die Softmoderne, die in diesem Jahr ja auch einer der Veranstalter war, weiterhin daran beteiligen?

Porombka: Man wird jetzt erst einmal sehen und sortieren müssen. Nachdem die kritischen Beiträge gesammelt und ausgewertet sind, wird man sich Gedanken machen müssen, wie man den nächsten Wettbewerb gestaltet. Auch da müssen jetzt die Karten neu gemischt werden.
     Ich halte grundsätzlich die Durchführung so eines Literatur-Wettbewerbs für sehr fruchtbringend, allein weil Gelder für die Produktion freigesetzt werden, weil die Kreativität gekitzelt wird und weil man endlich mal im größeren Kreis über Regeln und Kriterien diskutieren kann. So lange diese drei Prinzipien den Wettbewerb bestimmen und die Diskussion weitergetragen wird und so lange der Wettbewerb nicht zu einer bloßen Selbstfeier mit Selbstbeweihräucherung der Veranstalter wird, so lange sollte das auch weiter ausgeschrieben werden. Vielleicht aber nur alle zwei Jahre, damit mal Zeit zum Atemholen bleibt.

Literatur-Café: Und die Softmoderne? Vielleicht ist es jetzt ja auch noch etwas zu früh, aber lässt sich bereits feststellen in welche Richtung die Entwicklung gehen wird?

Porombka:Wir haben bereits in diesem Jahr die Veranstaltung zweigeteilt. Wir hatten am Samstag den Schwerpunkt Netzliteratur. Und am Sonntag ging es um die neuesten Entwicklungen im Bereich Online-Journalismus. Diese Idee hatten wir vor dem Hintergrund dieser Internet-Depression, die sich, nachdem der Hype weg ist, so allgemein durchgesetzt hat. Wir wollten schauen, wo es wichtig und nachvollziehbar ist, neue narrative Strukturen für das Netz und das World Wide Web im besonderen zu entwickeln. Verbunden mit dem, was ich vorhin gesagt habe, nämlich dass Geld der Motivation äußerst dienlich ist, wollten wir dorthin schauen, wo denn tatsächlich Gelder investiert werden oder in allernächster Zeit investiert werden müssen. Es wird für Zeitungen und auch für die Rundfunk- und Fernsehanstalten in den nächsten Jahren zwingend, ihr Programm - wie auch immer - im Internet zu präsentieren. Und das nicht nur als Visitenkarten, wie das im Moment überwiegend der Fall ist. Ab dem Moment, ab dem sichere Geldabrechnungsmöglichkeiten entwickelt worden sind, werden die Zeitungen das, was sie im Printangebot haben, auch ins Netz stellen müssen, weil sie dort eben auch ihre Ware an den Leser bringen können. Klar ist aber, dass dann das, was bislang gedruckt oder nacheinander gesendet wurde, nicht mehr gedruckt oder nacheinander im Netz erscheinen kann. Da müssen nicht-lineare, simultane Programmstrukturen ausgearbeitet werden. Und die einzelnen Beiträge und Artikel müssen auch multi-linear und klickbar und doch immer noch spannend aufbereitet sein. Da wird man unter Umständen dann zurückgreifen müssen auf das, was bereits im Bereich der Hypertext-Literatur an Möglichkeiten entwickelt worden ist.
     Das zu untersuchen, also in wie weit sich der journalistische Bereich dann an den literarischen anlehnen muss, in wie weit Literatur und Journalismus, Fakt und Fiktion sich neu verbinden, das wird das Ziel der nächsten Softmoderne sein.

Literatur-Café: In wie viel Jahren wird man Ihrer Meinung nach auf der Softmoderne einen deutschen Hypertext-Schriftsteller begrüßen können vom Rang eines Michael Joyce?

Stephan Porombka beim InterviewPorombka: Es hat in Deutschland ja ganz eigenartige Entwicklungen gegeben. Norman Ohler zum Beispiel, der im Netz angefangen hat, seine »Quotenmaschine« auszuarbeiten, seinen so braven Cyberpunkroman. Das war ein reines Web-Experiment, das dann allerdings als Papierausdruck einem Verlag übergeben wurde, der gesagt hat: Okay, das drucken wir - aber wenn wir es drucken, dann nimm das bitte vom Netz. Heute kann man nur noch eine gekürzte Fassung im WWW lesen. Also hier ging's genau andersherum. Nicht vom Buch ins Netz. Der Autor hat sich mal wieder in den Maschen der Print-Verlage verfangen.
     Aber es ist schwierig, Prognosen zu geben, ob das der Grundzug für die künftige Entwicklung bleiben wird. Was Michael Joyce betrifft, muss man sich ja auch etwas genauer fragen, welchen Stellenwert er in den USA wirklich hat: praktisch keinen. Das hat sich eher an dem Theorie-»Hype« des Hypertextes hochgezogen, dass Joyces »Afternoon« von 1987 heute »a postmodern classic« genannt wird. Aber kaum einer hat's gelesen. Und schon gar nicht die postmodernen Kritiker und Professoren in den USA. Joyce hat eher Großes in seinen Creative-Writing-Courses im Kontakt mit seinen Studenten geleistet. Denn da kommt der Hypertext her. Und wahrscheinlich gehört er auch allein dorthin.
     Wir wissen also nicht, ob Michael Joyce ein »großer Schriftsteller« ist. Man sollte allerdings immer, wenn man mit solchen Kategorien operiert, fragen, ob sich die Internet-Literatur diesem Prinzip des großen Autors nicht grundsätzlich verweigert. Wahrscheinlich ist das ja nur eine fixe Idee der Buchkultur, dass es den geben muss. Warum sollten wir uns im Netz noch an diese fixe Idee klammern. Große Autoren gehören ins Buch. Im Netz sollte ruhig weitergequatscht, weitergetratscht und weiter fröhlich und aber auch mühselig und mit einiger Anstrengung an literarischen Texten kollaboriert werden.

Literatur-Café: Herr Porombka, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

05.09.1997

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