Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag - Abschiedsrunde
Hier lesen Sie die besten Beiträge der zehnten Runde (Abschiedsrunde) November '02 - Dezember '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Stefan Zweig eingefallen sind. Der Satz stammt aus der »Schachnovelle«. Fischer Taschenbuch 1522. ISBN 3-596-21522-6. 5,50 EUR: Cover: Schachnovelle

Gierig starrte ich auf ihren Mund, denn es war mir in diesem Höllenjahr unwahrscheinlich geworden, dass ein Mensch gütig zu einem andern sprechen könnte.

Gebrauchsanleitung
von Sylvia Smuda, 71083 Herrenberg (Deutschland)

Wie baue ich mir zu genanntem Zitat eine Kurzgeschichte zusammen?

1. Suchen Sie die Schlüsselwörter heraus und lassen Sie ihren Assoziationen freien Lauf.

Höllenjahr: im KZ, im Knast, entführt, Isolation
unwahrscheinlich, Mensch: machtbesessene SS Männer, fiese Aufseher, brutale Entführer, Folterer
gierig, Mund: sieht die erste Frau seit langem: Krankenschwester, Anführerin, Anwältin; Lust, Verlangen
gütig: er ist dankbar, die Lösung scheint unglaublich, "gütiger Gott = religiöse Deutung

2. Stricken Sie daraus Ihre eigene Fantasiegeschichte.

Zum Beispiel:

Sie hatten mich
in die Hölle des Amazonas entführt.
Fiese Aufseher ließen mich
zu ihrem Vergnügen
mit Krokodilen kämpfen.
Plötzlich schwebt mit einem Fallschirm
eine Dame von der Heilsarmee ein
und spricht zu den Entführern:
"Friede sei auf Erden,
drum lasset ab von eurem Opfer,
den ich fortan
unter meine Fittiche nehmen werde."

3. Nun passt das genannte Zitat bestens als Schlusssatz!

Gierig starrte ich auf ihren Mund,
denn es war mir in diesem Höllenjahr
unwahrscheinlich geworden, dass ein Mensch
gütig zu einem anderen sprechen könnte.

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Hoffnung
von Ines Heckmann, 41469 Neuss (Deutschland)

Gierig starrte ich auf ihren Mund, denn es war mir in diesem Höllenjahr unwahrscheinlich geworden, dass ein Mensch gütig zu einem andern sprechen könnte.
Und so kam es auch. Ein eiskaltes "Verpiß Dich" zerschmetterte meine Hoffnung. Ich ging.

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Bestätigung
von Gitta Klaßen, 44145 Dortmund (Deutschland)

Gierig starrte ich auf ihren Mund, denn es war mir in diesem Höllenjahr unwahrscheinlich geworden, dass ein Mensch gütig zu einem andern sprechen könnte. Pralle dunkelrote , sinnlich geformte Lippen, die an erotische Momente auf Bärenfellen, schimmender, broncefarbender nackter Haut vor einem flackernden Kamin und schweren Rotwein in funkelnden Kristallgläsern erinnerten, bestätigten das Jahr, als sie den Mund öffnete. Sie sagte: "Verpiss dich!"

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Die Fremde
von Kerstin Kolb, 82541 Münsing (Deutschland)

Ich wusste, sie lauerten in der Nähe und warteten auf das Hereinbrechen der Nacht, um in der Sicherheit der Dämmerung mit ihren Streifzügen zu beginnen. Ich war eine der wenigen aus dem Dorf, die ihre Übergriffe überlebt hatten. Zunächst dachte ich, es sei lediglich eine glückliche Fügung gewesen, dass ich die Begegnungen mit ihnen hatte vermeiden können, dann jedoch verstand ich den wahren Grund. Ich war fremd in dem Land, ohne Familie und Beziehungen. Lange Zeit hatte ich unter der Ausgeschlossenheit gelitten. Meine Bemühungen, die Anfeindung der Dorfbewohner zu überwinden und in ihrer Mitte aufgenommen zu werden, waren fruchtlos geblieben. Doch der Bürgerkrieg hatte alles verändert. Sie kamen, um Hilfe zu erbitten, die ich ihnen immer gewährte. Als ich dann feststellte, dass sie meine kargen Lebensmittelvorräte stahlen, war meine Enttäuschung umso größer. Im Laufe des Krieges erkannte ich, dass Bindungen den Tod bringen konnten, weil sie ein schnelles und rücksichtsloses Handeln verhinderten. Ich verstand, dass der Schlüssel meines Überlebens in der Ungebundenheit lag, in der ich die letzten Jahre meines Lebens verbracht hatte. Eines nachts, als ich mich in unruhigem Schlaf wälzte, hörte ich sie kommen. Ich vernahm ihre Tritte, roch ihre schweißgertränkten und blutbefleckten Kleider und beschloss zu laufen, weg von dem Haus und den Todesschreien der Menschen. Ich griff nach meinem Messer und lief in die Richtung, in der dichtes Gebüsch Schutz bieten konnte. Dann spürte ich einen brennenden Schmerz, fiel zu Boden und fühlte, das Blut durch meine Finger sickern.
"Gibt mir deine Hand, los, ich helfe dir!" Betäubt durch meinen Schmerz hatte ich die Frau mit den dunklen, wirren Haaren nicht bemerkt. "Komm, du hast mir in meiner Not auch geholfen, zusammen schaffen wir es." Diese Worte waren verlockend. Gierig starrte ich auf ihren Mund, denn es war mir in diesem Höllenjahr unwahrscheinlich geworden, dass ein Mensch gütig zu einem andern sprechen könnte. Erinnerungen an ein tiefverborgenes Bedürfnis nach menschlicher Nähe, Bilder des Glücks und der Aussicht auf eine Zukunft drängten sich durch die Mauern meiner Seele. Mein Inneres wehrte sich, die Kehle fest zugeschnürt, um die aufkommenden Gefühle und Tränen zurückzuhalten. "Die Zeit drängt!", sprach sie und beugte sich zu mir herab. In diesem Moment sah ich die Waffe unter ihrer Jacke. Ich zögerte keinen Augenblick, nahm mein Messer, riss ihren Kopf an den Haaren zurück und durchtrennte ihr die Kehle.

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Ich, wer sonst
von Marlene Geselle, 72513 Hettingen (Deutschland)

Es war immer stiller geworden im Raum während der letzten halben Stunde. Peter, Steffen und Sylvia waren mit irgendwelchen Papieren fortgegangen und nicht wieder zurück gekommen. Der Chef war zur Konferenz.
Konstantin tat so, als bemerke er nichts. Sein Schreibtisch war längst aufgeräumt. Nur noch Persönliches in die Klappbox packen. „Na, denn eben nicht“, murmelte er leise; zog aus seinem Schrank die zwei Weinflaschen heraus, den Sechserpack Gläser. Der kleine Umtrunk zum Abschied fiel also aus. „Ist ehrlicher so.“
Vor einem Jahr war durchgesickert, dass von den Vieren, die seinerzeit als Azubis eingestellt worden waren, nur drei übernommen würden. Peter und Sylvia waren im gleichen Sportverein. Erste Allianz. Damit ging das Mobben gegen ihn und Steffen los: Kaffee ausschütten über eilige Papiere; nicht Weitergeben von wichtigen Infos oder Anweisungen. Ihr direkter Chef beobachtete jeden einzelnen wie ein Verhaltensforscher seine Kaninchen, sagte nichts, tat nichts. Machte sich einen Spaß daraus, die Vier die Sache unter sich austragen zu lassen.
Vor einem Vierteljahr das Betriebsfest. Ein bestens gelaunter Steffen, Leiter Personalwesen mit einer rassigen Brünetten am Arm – Steffens Mutter.
Ein Blick auf die Uhr. Punkt 17.00 Uhr. Leise machte Konstantin die Türe auf, guckte um die Ecke. Alicia Krawinkel lief ihn fast über den Haufen. Die Schönste, die Blondeste, die Erfolgreichste, aller Männer Traumfrau. Hatte während der ganzen Zeit keine zehn privaten Worte mit ihm gewechselt.
„Konstantin“, kam es atemlos von ihren Lippen. „Schön, dass ich dich doch noch zu sehen krieg. Hier, für dich. Du magst ihn ja. – Als Andenken.“
Wie vom Donner gerührt, starrte er sie an. Vor Verlegenheit brachte er kein Wort heraus, nicht mal ein Stottern. Beide guckten auf die kleine Figur, die in Konstantins Armen lag wie ein Baby: ein Gartenzwerg am PC, wunderschönes Sammlerstück. Es war der Zwerg, der bis eben auf ihrem Schreibtisch gestanden hatte. Als er sich vor einem Jahr nach dem Teil erkundigte, hatte er nicht einmal eine vernünftige Antwort bekommen. Und jetzt, hier und heute, schenkte sie ihm einfach ihren Schreibtischzwerg!
Er wollte sich noch bedanken bei ihr. Aber da war sie schon fort wie eine Geistererscheinung.
Alleine auf dem Flur legte er den Gartenzwerg vorsichtig in die Klappbox, schüttelte mit einem leisen Lachen den Kopf. „Das glaubt mir kein Mensch: Ein Andenken von Alicia Krawinkel!“

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