Die Zeit ist Stein geworden
Fühle mich wie Rimbaud in Afrika: weg von allem, was bisher wichtig war.
Vorbei an Lehmhüttensiedlungen, teils mit Auto vor der Tür und Satellitenschüssel auf dem Dach, das mehr dem Sonnenschutz dient als der Abwehr von Regen. Getreide-, Reis- und Zuckerrohrfelder. Bananenplantagen. Unser Schiff ließ in einer Flussbiegung den gesamten Gelbe-Tonne-Müll ins Wasser: möglicherweise eine Art »Entwicklungshilfe« für die Anwohner, für die eine Plastikflasche ein wertvoller Gegenstand des täglichen Lebens ist. Die Kapitäne der Dampfer, die nur einen Meter Tiefgang haben und im offenen Meer ohne Zweifel kentern würden, stammen fast alle aus einer Sippe aus Aswan (Assuan): Der Nil verändert oft seine Tiefe, und schwimmende Inseln aus Schilf und Tang gaukeln Land vor, wo keines ist, würden allerdings die Schiffsschrauben lahm legen. Kaum Bojen zu sehen entlang der fleißig befahrenen Route. Die Tempelanlage von Edfu, mit einer Kalesche erreicht durch diese plötzlich so vollkommen arabische Stadt. Luxor sehr europäisch dagegen. Nun wirklich in Afrika. Wir lasen den detaillierten Baubericht über diese sehr gut erhaltene Tempelanlage (eine Übersetzung des hieroglyphischen Schriftbandes, das um den ganzen Bau herumgeht) auf dem Schiff und kamen aus dem Schauen und Staunen kaum heraus.
Die Wüste kommt immer näher an den Fluss. Kein breites, grünes Tal mehr. Grelle Farben, bedrohliche Trockenheit. Bepflanzungen auf kleinstem Raum. Die Fellachen immer dunkelhäutiger: Wir nähern uns dem Goldland Nubien. Lesen beide abwechselnd den Bericht des amerikanischen Ägyptologen Kent Weeks über seine Entdeckung des Grabes »KV5« im Tal der Könige. Darin die Schilderung seiner ersten Nilreise von 1963, die ihn von Kairo bis Abu Simbel führte: Keiner an Bord habe damals ein Buch aufgeschlagen, aus Angst, etwas von der grandiosen Landschaft zu versäumen. Heute kann man eher lesen, da man die Landschaft mit einem 300mm-Objektiv sicher »im Kasten« hat. Zuhause sieht man dann, wo man gewesen ist. Andererseits muss man sich hier um nichts kümmern, und der freundliche Steward ist dauern um einen herum. Flug nach Abu Simbel gestrichen wegen Sandsturms. Aufenthalt in Aswans Rosengranit-Steinbruch (Muezzin-Konzert um Mittag über der Stadt) und auf der Tempelinsel Philae. Viel Augenarbeit. Abends Bazar. Viel Abwimmelarbeit. Doch die Araber wollen handeln, nicht betrügen oder betteln. Wirklich kaum Bettler in diesem Land.
Rückreise nach Luxor: Nochmals kurz Kom Ombo, und nur wir beide noch einmal zum überwältigenden Edfu-Tempel, wo wir sowieso stundenlang vor Anker lagen. Sehr eindrucksvoll im Abendsonnenlicht. Vergleichbar nur mit den schönsten mittelalterlichen Domen Europas: Edfu allerdings entstand rund 1500 Jahre früher als diese. Unhöfliche, fast rüpelhafte deutsche Rentner auf dem Schiff. Esna am frühen Morgen: Man muss gut 15-20 Meter in eine Grube hinab steigen, um an diesen Tempel zu gelangen: Die Stadt drumherum, immer auf dem Schutt der Vorgängerbauten neu errichtet, wuchs einfach in die Höhe und hätte den Tempel fast unter sich begraben. Greifbare Geschichte als Schuttablagerung. Dann Busfahrt nach Luxor: Theben West und Hatchepsut-Tempel. Grässlicher Durchfall: der »Fluch des Pharaos«, heißt es. Im Tal der Könige geht es zu wie in der Getreidegasse in Salzburg. Marie-Theres allein im Tutanchamun-Grab. Kindheitstraum.
Ägyptisches Museum in Luxor: vor allem Kellergeschoss mit den sensationellen neuen Funden aus dem Luxortempel (Kolossalstatuen aus dem Alten und Mittleren Reich), die vor wenigen Jahren in einem Bereich aufgefunden wurden, über den seit Jahrzehnten täglich Tausende von Touristen stiefeln. Auch sonst sehr ausdrucksvolle, ausgewählte Skulpturen. Schulklassen sehr diszipliniert. Abends Suche nach Malvenblütentee auf dem Bazar. Die wirklich guten Sorten holen sie aus dem hinteren Lager: Er muss dunkel sein, fast schwarz, riet man uns. Der Rat war gut. Mein Dank gilt meiner Frau Marie-Theres für ihr kritisches Gegenlesen des Textes und dem Kollegen Dieter Roth für das Scannen der Fotos. |