Trautes Heim von Stefanie

Als ich hereinkomme, sitzt meine Mutter in der Küche. Sie muss eben von der Nachtschicht zurückgekommen sein. Sie raucht. Neben ihr zwei leere Flaschen Bier und ein Glas Schnaps.
     Sie trinkt immer, um müde zu werden und um am Tag schlafen zu können. »Wie war es in der Arbeit?« frage ich. Sie schüttelt müde den Kopf und sagt, sie habe die ganze Nacht die alten Leute beruhigen müssen, die so Angst vor dem Gewitter gehabt hätten. Ständig hätten sie »Schwester, Schwester!« geschrieen.
     »Wie kleine Kinder«, versuche ich zu scherzen. Sie schweigt.
Schnaps     Wenn sie trinkt, wird sie meist etwas depressiv. Abends, wenn wir an einem Sommerabend draußen bei einem Glas Wein zusammensitzen und fröhlich plaudern, endet der Abend immer gleich: Sie klagt über ihre Ehe, über meinen Vater, mit dem sie sich so auseinander gelebt hat, über ihre Rolle als Mädchen für alles und  darüber, dass er in der Kindererziehung nichts leistet und sie für ihre Kinder stets »die Böse« war und wohl immer noch ist.
     Schließlich beginnt sie zu weinen und wir schließen bedrückt den Abend ab. So ist es auch jetzt. Traurig blickt sie mich an. »Ich kann bald nicht mehr«, sagt sie. »Der Papa hat wahrscheinlich einen Bandscheibenvorfall. Und der Arzt meinte gestern, er weigere sich, ins Krankenhaus zum Röntgen zu gehen.« Sie schüttelt den Kopf. »Alles muss ich entscheiden, nichts kann er alleine machen. Langsam kommt es mir so vor, als habe ich ein zweites Kind.«
     Wütend schaut sie auf.
     »Er ist so dumm! Er kann invalid werden, wenn er so weitermacht!«
     Müde sackt sie wieder zusammen.
     »Aber alles muss ich machen ... ich habe keine Lust mehr. Einfach keine Lust mehr.«
     Sie blickt mich scharf an und hebt die Finger, als wolle sie etwas abzählen.
     »Ich mache die Finanzen, die Kindererziehung lag allein bei mir, bei der Bewerbung deiner Schwester habe ich alles in die Hand genommen, um ihr zu helfen. Ich schmeiße den ganzen Haushalt, gehe auch noch arbeiten... Ich habe einfach keine Lust mehr.«
Schnaps     Sie kippt den Schnaps hinunter. »Neulich habe ich mit ihm verabredet, den Maler zu bestellen. 'In Ordnung', hat er gesagt. Und jetzt, wo er kommen sollte, dieses Wochenende, meint er auf einmal, das Geld könnten wir uns sparen, das machen wir selbst... In dem Fall heißt es, das mache ich selbst...«
Sie lacht. »Er hat ja Nachtschicht. Ich hab' frei...«
     Ich blicke zu Boden. Ich weiß, dass es am besten ist, wenn ich gar nichts dazu sage.
     Sie nimmt einen tiefen Zug.
     »Das ist genau die Rolle, die ich nie haben wollte.« flüstert sie.
     Die Tür geht auf, mein Vater kommt herein, im Bademantel, immer noch mit etwas schmerzverzerrtem Gesicht, den Rücken etwas gekrümmt.
     »Guten Morgen!« sage ich freundlich. Er brummt etwas und schlurft zur Kaffeemaschine. Meine Mutter blickt ihn durchdringend an.
     »Mathias, du musst eine Computertomografie machen!« Er schweigt. Sie versucht es noch einmal. »Du musst es tun! Du kannst einen Bandscheibenvorfall haben, und dabei kannst du invalid werden!«
     Er schweigt und schöpft sich Zucker in den Kaffee.
     »Und, wie war deine Arbeit?« brummt er schließlich.
     »Du machst keine, nicht wahr.« Die Stimme meiner Mutter schwankt. Ich weiß, was jetzt kommt und verlasse das Zimmer.

 

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