Während Roman Feder lustlos im orthografielosen Manuskriptfragment eines TV-Stars blättert, läutet das Telefon. Obwohl der Literaturagent Berge von unverwertbaren Manuskripten im Keller liegen hat, ergreift er den Hörer erwartungsvoll. Vielleicht benötigt ja gerade in diesem Augenblick ein zukünftiger Nobelpreisträger seine Hilfe? »Ist da die Agentur Feder? Ja? Hier spricht Ilse Leibschön. Sie handeln doch mit Literatur, ja? Ich habe ein Buch geschrieben, ich meine Gedichte und Geschichten, die in meinem Verwandten- und Bekanntenkreis sehr gut ankommen, wirklich ganz hervorragend und ...« »Wie war doch bitte Ihr Name?«, fragt Feder, der instinktiv fühlt, dass er auf den Nobelpreisträger noch wird warten müssen. »Leibschön, Ilse Leibschön, ich möchte nur fragen, ob ich Ihnen das Manuskript schicken soll, ja? Oder vielleicht am besten zu Ihnen fahre, weil man da natürlich ...« »Gedichte und Geschichten?«, unterbricht Feder sie. Ilse Leibschön erblasst. Der Mann kennt natürlich die literarische Qualität ihres Schaffens nicht, deshalb sagt sie mit fester Stimme: »Also keine normalen Gedichte und Allerweltsgeschichten, sondern sehr einfühlsame lyrische Gedichte von Liebe, Treue und ...« »Gedichte oder Geschichten will heute kaum noch jemand. Da müssten Sie schon einen Namen haben, einen prominenten versteht sich! Wie alt sind Sie denn?« Ilse Leibschön erschrickt, sagt dann aber zögernd: »Achtundfünfzig.« »Und die Haarfarbe?«, fragt Feder. »Brünett, mit etwas Grau.« »Nein«, sagt Feder, »da sehe ich keine Chance. Für Gedichte wollen die Verlage im Augenblick nur eine junge Wilde, maximal fünfundzwanzig, entweder superblond, rot oder rabenschwarz.« Ilse Leibschön erstarrt. »Hallo, sind Sie noch da?«, ruft der Literaturagent in die Muschel. »Schreiben Sie doch einen Roman!« »Einen Roman?«, fragt Ilse Leibschön. »Ja!« »So ähnlich wie die Pilcher?«, sagt die kommende Autorin hoffnungsfroh. »Nein, nein, Cornwall ist verbraucht, aber Italien ist immer en vogue und Nordportugal im Kommen. Schade, dass Sie keine Skandinavierin sind. Die lassen sich im Augenblick am besten vermarkten, wegen der Schwermut, Sie verstehen?« »Ich bin aus Gelsenkirchen«, sagt Ilse Leibschön zögernd. »Gelsenkirchen ...« Feder pfeift durch die Zähne. »Gelsenkirchen ..., ja warum schreiben Sie denn keinen Krimi, der in einer ehemaligen Bergbaugrube spielt? Der arbeitslose Steiger lockt den Personalchef seines früheren Arbeitgebers mithilfe seiner bildhübschen Schwester in die aufgelassene Grube - der Rest ist klar!« »Krimis liegen mir überhaupt nicht«, sagt Ilse Leibschön. »Dann schreiben Sie doch einen dramatischen Liebesroman aus dem Revier. Aber nicht mit Bergmännern, sondern mit IT-Yuppies, die um die Tochter eines berühmten Elektronikbosses kämpfen. Dazu ein bisschen dunkle Börsen- oder Immobiliengeschäfte, Karrieregeilheit – wer das Mädchen kriegt, wird auch Vizepräsident -, und natürlich darf im Ruhrpott der Fußball nicht fehlen.« »Aber von Fußball verstehe ich überhaupt nichts!«, ruft Ilse Leibschön entsetzt. »Das müssen Sie auch nicht, aber von Schalke und Dortmund werden Sie wohl schon gehört haben!« Feders Stimme wirkt jetzt etwas angespannt, als er fortfährt: »Also: der Neffe des Elektronikbosses hat einen Cousin, der ist Verteidiger bei Schalke und hat ein geheimes Liebesverhältnis mit der Tochter des Zeugwarts von Dortmund. In die Tochter ist jedoch auch ein Stürmer von Dortmund rasend verliebt, rasend! Es kommt zum Lokalderby der beiden Vereine, und was dann passiert, ist doch klar!« »Was passiert denn?«, fragt Ilse Leibschön vorsichtig. »Das ist doch nun wirklich nicht mehr schwer«, ruft Feder entnervt. »Mein Gott, wie viele Tipps soll ich Ihnen denn noch geben? Muss ich den Roman auch noch selbst schreiben?« |