Silvester. von Alexander Mohr Es ist doch jedes Jahr das Gleiche. Hat man erst einmal diese unerträglichen Weihnachtsmärkte mit diesen nervtötenden Kleinkindern, welche einem immer ihre Rote Wurst an die Jacke schmieren und diesen dummen Zicken, welche einem auf diesen blöden Märkten Glühwein über die Barbourjacke schütten, überstanden und auch den familiären Angriff an Weihnachten einigermaßen überlebt, dann kommt man zu dem wahren Problem der Festtage. Silvester. Silvester ist wirklich ein ganz schlimmes Problem. Natürlich sind die Idioten von letztem Jahr auch wieder die Idioten von diesem Jahr und eigentlich ist das auch ganz gut so. Einer dieser Oberschwachmaten ist ein Typ namens Ingo. So hieß auch immer der Schläger in unserer Grundschule, wenn ich mich recht erinnere. Vielleicht heißen ja alle Idioten auf dieser Welt Ingo und jeder kennt einen Idioten der Ingo heißt. Wer weiß. Bei Ingo steht das Wort »Idiot« mit besonders großen Lettern auf der Stirn und auch das ist sehr gut, weil dann kann man immer einen weiten Bogen um ihn machen sobald man ihn sieht. Ingo hat auch eine Freundin. Auch sie ist eigentlich immer die Gleiche. Was für ein grauenhaftes Paar. Das ist ja eigentlich sehr schön für unseren Ingo und sie reden sich natürlich auch ständig mit »Schatz« oder »Liebes« oder so, an. Manchmal, eigentlich jedes Silvester, steht er dann aber in einer unachtsamen Sekunde meinerseits, irgendwann im Verlauf des Abends neben mir und schon muss ich dann irgendwie mit ihm reden. Das heißt eigentlich redet ja nur er. Natürlich über seine Freundin, über ihre Beziehung und das mir doch sicherlich irgendetwas fehlen würde so ganz ohne Freundin und so. Sehr schön ist das dann. Ich sage dann nein, was er nicht versteht, wie jedes Jahr. Doch, doch, Silvester ist eine vollkommen stimmige und in sich konsequent organisierte Veranstaltung in der jeder Mitspieler, jedes Jahr das Gleiche macht, oder zumindest das Gleiche sagt. Isabell zum Beispiel ist eine weitläufige Freundin von mir und Isabell heult jedes Jahr an Silvester. Irgendwann ist es dann zwölf Uhr. Die Idioten rennen wie besessen auf die Straße vor dem Haus von Frieder und wir folgen ihnen etwas langsamer, weil irgendjemand natürlich so Knaller und Raketen und so gekauft hat. Das ist aber eigentlich sehr langweilig. Wir umarmen uns dann um zwölf, weil man das so macht an Silvester und das ist bei einigen sehr schön, bei einigen geheuchelt und bei anderen einfach schon die Vorstellung schon so unerträglich, dass man die fünf Minuten vor und die Zehn Minuten nach Zwölf auf besonders großen Abstand bedacht ist. Man sieht sich dann noch aus sicherer Entfernung an, wie sich die immer präsenten Pärchen, innig im Arm halten, fast so ,als würde einer von den beiden gleich an die Front geschickt. Nach dieser Unterbrechung der Festlichkeit gehen wir dann wieder ins Haus, wo alles seine gewohnten Bahnen geht. Meine liebe Exfreundin eröffnet das weitere Geschehen des Abends. Sie hat für sich eine quasi vollkommen stimmige Performance für Silvester gefunden, von welcher Sie nur äußerst ungern abrückt. Na, eigentlich nie. Jedes Jahr krallt sie sich zu Beginn der Feierlichkeiten eine Flasche Moët & Chandon (Sie findet Wodka aus Eierbechern trinken einfach »pubertär«) und trinkt diese Flasche dann in Eigenregie konsequent und mit unglaublicher Willensleistung zu 4/5 leer, wirft sodann behände Oasis in den CD-Player und fängt dann an mit mir, einem alkoholisierten, willenlosem Geschöpf, zu tanzen an. Sie hängt sich ganz bravourös an mich und vor allem an meine Lippen, was den Abend zwar nicht unangenehmer, aber dafür die Nachbereitung der Fete etwas anstrengender macht. Für das nächste Jahr wollen wir natürlich mal was ganz anderes machen. Da mieten wir uns eine Hütte. Eine Hütte an der Nordsee oder so. Klar. Oder bei Mitternacht auf irgend einem dämlichen Berg stehen. Irgendwo. Auch eine prima Idee. Mit einer Flasche Champagner natürlich und nur mit den besten Freunden. Ohne Ingos. Ja gewiss. Das wäre toll. |
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