Im Ausland
(was man alles nicht weiß)
von Anita Dutta-Keane
Ich sitze in meinem im 15. Stock gelegenen Appartement, schaue aus dem Fenster und überlege, wann und wie selbiges gereinigt wird. An diesen Gedanken kann man unschwer erkennen, dass ich zu viel Zeit habe. Die Fensterfront ist groß, man hat einen wunderschönen, weiten Blick, wenn denn die Fenster sauber sind. Ich sehe ein, dass es Tage kostet, ein solch großes Gebäude hat viele Fenster. Eines Tages wird wahrscheinlich ein käfigähnliches Etwas an der Hauswand entlang schweben und ein oder zwei Männer putzen mit langen Schrubbern die Glasflächen.
Ich bin mir sicher, dass es Männer sind, ebenso wie ich mir sicher bin, dass es Mexikaner sein werden. Ich lebe nämlich zurzeit in einem amerikanischen Staat nah der mexikanischen Grenze. Und so, wie in den Restaurants die Tische von Mexikanern abgeräumt und die Straßen von Mexikanern gesäubert werden, so werden auch die Fenster der vielen Hochhäuser von ihnen geputzt. Seit fast einem Jahr bin ich hier, und wenn ich nicht mehr merken sollte, wer was putzt, dann bin ich nicht mehr nur zu Besuch.
Gehe ich zum Friseur oder zum Arzt, entschuldige ich meinen Akzent und sage, ich komme aus Deutschland. Es ist natürlich auch eine leichte Art Gespräche anzuknüpfen. So, aus Deutschland, das ist so cool. Ich lächele dankbar, sage, ja, mir gefällt Deutschland auch gut und denke, was ist daran cool? Es geht normalerweise weiter mit zwei Alternativen, a) ich habe einen Cousin/Tante/Oma, der/die wohnt dort, oder b) ich wollte schon immer nach Europa, vielleicht nächstes Jahr. Beide Alternativen sind interessant genug, aber erklärt noch nicht, was daran cool ist?
Ich lasse es mal wieder auf sich beruhen, und staune beim nächsten Mal, wenn ich beim Einkauf meinen Ausweis vorzeigen muss, da ich eine Flasche Wein kaufen will und die Verkäuferin sagt: Du kommst aus Deutschland? Das ist so cool.
Wenn ich nicht mehr aus meinen blinden Fenstern sehen möchte, gehe ich zum nahe gelegenen Café. Es ist ein Café im wahrsten Sinne des Wortes, denn hier wird nur Kaffee verkauft, kalt oder warm, zum dort-trinken, zum unterwegs-trinken, als Bohne zum Zuhause-trinken. Ich trinke kalten Kaffee dort, weil ich ja etwas anderes sehen möchte. Zum Beispiel Geschäftsfrauen und -männer. Auf den Tischchen liegen ganz selbstverständlich mobile Telefone, und sowieso trägt beinah jeder einen Pager. Das Wort "Pager" geht mir inzwischen leicht über die Lippen, denn diese Errungenschaften gehören hier zum Alltag.
Ich frage mich zwar häufig, ob wirklich jeder immer und überall erreichbar sein muss (zum Beispiel im Kino), aber das ist wohl so wie die Sache mit dem Anrufbeantworter. Wie konnten wir früher nur ohne ihn leben?
Zurück in meinem 15. Stock schalte ich den Computer ein, das Internet besuche ich mindestens einmal am Tag. Es ist wie der Nabel zur Welt geworden, eine nicht unbedenkliche Entwicklung. Per Mausklick bin ich auf den heimatlichen Webseiten, lese Nachrichten, informiere mich über den Fortgang meiner Lieblingsserie, schreibe Freunden, die, ganz auf der Höhe der Zeit, eine eMail Adresse besitzen.
Draußen stürmt es, Tornadowarnung. Wenn es zu schlimm wird, müssen wir uns ins Badezimmer begeben, weil fensterlos, uns in die Badewanne legen und uns zudecken.
An der Wand hängt mein Adventskalender, er ist schon drei Monate überfällig aber mangels Wandschmuck bleibt er noch ein wenig und leistet Gesellschaft.
Durch das tägliche Leben intensiviere ich meine Sprachkenntnisse. Es hat nichts mehr mit dem Schulenglisch zu tun. Die Verkäuferin im Supermarkt und die vor den Tischen niederknienden Bedienungen würden mich nicht verstehen. Mein Englischlehrer wäre wohl über Aussprache und Grammatik schockiert, aber ganz unmerklich schleichen sich diese besonderen Sprachformen ein.
Ich bin seit einem Jahr hier. Reisen prägt, sagt man. In einem anderen Land zu leben, verändert. Mehrmals am Tag verdunkelt sich mein Zimmer für Sekunden, und zwar, wenn ein Flugzeug über das Gebäude rauscht. Machen Sie eine typische Handbewegung. Immer in amerikanischen Sendungen bewundert, zücke ich tagtäglich mein Scheckbuch. Wenn nicht das Scheckbuch, dann die diversen Kreditkarten, die jedes Geschäft anbietet. Mein Portemonnaie platzt vor lauter Plastik, aber ich schwimme im Fluss.
Was ist das also mit der Auslandserfahrung? Sprachkenntnisse, ja, andere Lebensweisen leben, nicht nur davon lesen, auch das, sich entscheiden müssen, wo man leben möchte, das bestimmt. Ich werde in Kürze meine Koffer packen, um als Zwischenstopp Deutschland anzuvisieren. Reisen ist ein wenig wie Chips essen, fängt man einmal damit an, kann man nicht oder schwer aufhören. Am besten isst man die Tüte ganz auf, ansonsten schleicht man unruhig um den Schrank. Man weiß, die Tüte ist darin, und irgendwann isst man sie doch, warum nicht sofort?
Luftholen und weiter.
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