Foto von Ulrich Struve Zuckerhut und Flitzebogen
Notizen am Rande - Buchbesprechungen von Ulrich Struve Der Liedermacher und Schriftsteller Bernhard Lassahn lädt ein zum Rundgang durch ein Heimatmuseum ganz besonderer Art. Zuckerhut und Flitzebogen ist ein »Museum der Erinnerungen«, in dem alltägliche und skurrile, inzwischen längt vergessene Gegenstände, Witze und Sorgen aus der Nachkriegszeit Deutschlands versammelt sind.
     Wie jeder gute Museumsdirektor ordnet Lassahn seine Sammlung nach Epochen. Erst war da die »große Zeit«, als man kaum an die Dinge heranreichte, als praktisch alles, was ein Kind berührte, sofort einen Sprung bekam oder herunterfiel. Später, nach Erfindung des Farbfernsehens, kam die »bunte Zeit«, deren wildeste Auswüchse im »Flower-Power-Zimmer« zu besichtigen sind: Blümchenmuster, bis einem schwindelig wird.
     Im »Salon der übrig gebliebenen Sachen« haben Kuckucksuhr und Flokati ein Zuhause gefunden. Bauchige Korbflaschen, die »einen Hauch sonnigen Süden« ins Zimmer bringen, Porzellanteller mit Merian-Stichen und der erste Schwarzweißfernseher sind kunterbunt zusammengewürfelt mit Schallplatten von Catherina Valente, der Autovase aus einer alten Isetta und der »Schlafzimmerlampe in Form von einem Tulpenstrauß«.
     Doch was wäre schon ein deutsches Heimatmuseum ohne Gartenzwerge? Anfangs, als noch viel wegzuräumen war, hatten sie meistens Schaufeln dabei, später Hacken für die Gartenpflege, schließlich sogar Motorsägen. Auch sind sie im Lauf der Jahre immer größer geworden und gerade »in der letzten Zeit mächtig ins Kraut geschossen«, so wie Deutschland. Klar, dass in der Wendezeit die Gartenzwerge Plakate trugen mit der Aufschrift »Wir sind das Volk«.
     Auch aus konsequent beim Wort genommenen Wörtern schlägt Lassahn komische Funken. Der Zuckerhut auf der Ablage im Flur scheint ihm als Kopfbedeckung für Regentage eher unpraktisch. Aber die Ablenkungsstrategien der Großen, die mit falschen Namen versuchten, »Kinder von Süßigkeiten fern zu halten«, beklagt er besonders bitterlich. Welches Kind würde schon Mäusespeck oder Katzenzungen essen? Oder einen Geburtstagskuchen mit einem so grässlichen Decknamen wie die »kalte Hundeschnauze«?
     Auf ein Ausstellungsstück ist der Herr Museumsdirektor besonders stolz: die große Mausefalle oben im Flur, denn abgesehen vom geheimnisumflüsterten S-E-X unterscheiden sich die Großen und die Kinder vor allem im Umgang mit den kuscheligen kleinen Mäuschen. Oh, was war die Schnappbügelfalle grausam! Ahnt gar nichts, riecht den leckeren Käse und - futsch ist die Maus! Eigentlich stammt diese übergroße Mausefalle aus Frankreich, wo ja auch die Guillotine erfunden wurde, und sie hat sogar ein kleines Namensschild aus Messing: Pigalle, so heißt sie, und stand mal mitten in Paris. Aber jetzt ist sie Gott sei Dank entschärft und ins Museum gekommen…
     »Alles, was kein Brot frisst, wird aufgehoben« war die Devise so mancher Nachkriegskinder, denen das Hamstern und Sammeln bald in Fleisch und Blut überging. Zum Glück gab es Zigaretten- und Margarinealben für die Sammelleidenschaft. An diese Mitmachbücher aus einer Zeit, als das Wort dafür noch nicht erfunden war, erinnert Rotraut Susanne Berner. Sie hat Lassahns Zuckerhut und Flitzebogen mit Sammelbildern zum Einkleben versehen, 16 Stück im knalligen Sechsfarbendruck, genauso gewitzt wie die Texte des Autors.
     Da hat der Sarottimohr auf einmal Brüste, die den westlichen Blick auf nackte Afrikanerinnen im damals - nur damals? - beliebten Kulturfilm »über Sitten und Gebräuche fremder Länder« aufs Korn nehmen. Oder Popeye, dessen kraftprotzige Spinatpropaganda auch späteren Jahrgängen geläufig ist, zwingt einem widerspenstigen Knaben sein Gemüse auf.
     Pfiffig von der ersten bis zur letzen Seite tischt Bernhard Lassahn mit Humor versüßte Wahrheiten über eine Nachkriegszeit auf, die beileibe nicht so hehr und unbescholten war, wie sie einen glauben machen wollte. So manches war da unter den Teppich zu kehren. Bis die Teppichböden von Wand zu Wand aufkamen, und da ging das dann nicht mehr. Zuckerhut und Flitzebogen ist ein spitzbübisch vergnüglicher Spaziergang durch die jüngere Geschichte, vom Pendragon-Verlag in einem ausgesprochen liebevoll aufgemachten und sorgfältig betreuten Buch präsentiert.

Ulrich Struve

Lassahn, Bernhard: Zuckerhut und Flitzebogen. Mit 100 Sachen durch die Kinderzeit. Beilage: 16 farbige Sammelbilder von Rotraut S. Berner. 1994. 117 Seiten. ISBN 3-929096-07-2. Pendragon, Bielefeld. 36,00 DM/18,41 EUR (Preisangabe ohne Gewähr)


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