Foto von Ulrich Struve Nostalgische Teekunde
Notizen am Rande - Buchbesprechungen von Ulrich Struve Seit rund zwanzig Jahren, so verrät Stephan Reimertz mit stilbewusstem Augenzwinkern, sei das Teetrinken seine Hauptbeschäftigung. An guten Tagen bringe er es auf drei Kannen. Anhand seiner unterhaltsamen Kulturgeschichte können sich Novizen wie Routiniers ebenfalls dem Genuss des Tees widmen.
      Es ist ein ausgesprochen schön gestaltetes und reich illustriertes Buch, in dem Reimertz eine mal gefällig plaudernde, mal sachliche Führung durch die Teekulturen der Welt veranstaltet. Sie bleibt weitgehend informativ, obwohl der Autor seinen Leserinnen und Lesern dabei gelegentlich doch recht platte Stereotypen vorsetzt — über das »rasante Völkchen« der Franzosen etwa, zu dem der Kaffee so viel besser passe, oder über die »konservative Renitenz« der Briten.
      Reimertz befasst sich abwechselnd mit der geographischen, botanischen, physiologischen und philosophischen Betrachtung des Tees. Eine anschauliche Darstellung des japanischen Teerituals gibt er ebenso zum Besten wie die nachgerade hymnische Beschreibung der heute in Berlin im Hause Sombart praktizierten Teenachmittage, die an Geselligkeitsformen der Salons des 19. Jahrhunderts anknüpfen.
      Dabei redet Reimertz beflissentlich einem Wiedererstarken der Tradition das Wort. Er hofft, den »Snobismus zur Massenbewegung« zu machen, mit anderen Worten: den Plebs in seinem Sinne zu veredeln. Das damit verbundene Plädoyer für mehr Muße und vom Tee beförderte sinnliche Beschaulichkeit im Alltag ist durchaus sympathisch. Dennoch wirken Reimertz‘ Ausführungen oft altklug, elitär und arrogant. Wenn er über die ach so schrecklich »formlosen Siebzigerjahre« schimpft, mutet das bei einem Autor vom Jahrgang 62 kurios an. Auch kann er sich die Welt, so scheint es, nur als eine von Herren und Dienern vorstellen. Beim Tea for one solle man tunlichst beide Parts selber übernehmen und sich solchermaßen »in die Hofsitten der Einsamkeit einüben«.
      Zu diesem Feudalismusverschnitt, der sich eifrig bemüht, über jeden Verdacht der Durchschnittlichkeit erhaben zu sein, passt es auch, dass die für den Teebau entscheidende Kolonialgeschichte schöngeredet wird. Ausgerechnet Ernst Jünger soll als Gewährsmann dafür dienen, dass die Kolonialherren »nicht nur die Nehmenden, sondern auch Gebende« waren. Auf die harte Arbeit heutiger Pflückerinnen wird hingewiesen, ob aber der Lohn für einen menschenwürdigen Lebensunterhalt ausreicht, verrät Reimertz nicht. Wozu auch, ist doch bereits dem jungen Teekundigen klar: »Die Fantasie … ist die eigentlich reale Welt«.

Ulrich Struve

Stephan Reimertz, Vom Genuss des Tees: Eine Kulturgeschichte. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1998. 207 S., leinengeb., 65 z.T. farbige Abb. 49,90 DM/25,51 EUR (Preisangabe ohne Gewähr). ISBN 3-378-01023-1.


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