Foto von Ulrich Struve Lebenslust
Notizen am Rande - Buchbesprechungen von Ulrich Struve Janosch, den man gemeinhin als Kinderbuchautor kennt, hat über die Jahre ein gerüttelt Maß Romane für Erwachsene geschrieben. Meist kreisen sie um die schlesische Heimat, die er wegen des abrupt über sein kleines Dorf hereinbrechenden Tausendjährigen Reiches allzu früh verlassen musste. In schrulligen Figuren, die trotz bitterster Armut den aufrechten Gang pflegen, feiert Janosch die verlorene Heimat, ohne sie sonderlich durch die rosa Brille der Nostalgie zu verklären.
     Auch Gastmahl auf Gomera handelt vom Aufwachsen in Schlesien, aber auch von Umsiedlung und Neuanfang in der Bundesrepublik, von späteren Bucherfolgen und vom Rückzug auf eine kanarische Insel. Für eine Janosch-Biographie soll ein vom Verlag beauftragter Journalist namens Jerzey Skral dort Interviews durchführen. Doch ist der eher an schönen Mädchen als an seiner Auftragsarbeit interessiert, und so erzählt Janosch mehr sich selber als Skral, der sowieso die meiste Zeit sturzbesoffen ist, im Verlauf einiger Tage sein Leben.
     Neben einer unbändigen Verehrung für den Urgroßvater Jacob Piecha, den Schmied, der »die Eleganten und den Adel« verachtete, sind Hunger und Furcht die prägendsten Kindheitserlebnisse des Erzählers. Von der Knute des Vaters, der Ängstlichkeit der Mutter und dem wohlmeinenden Pfarrer, der unreflektiert wiederholt, was ihm einst im Priesterseminar eingetrichtert worden war, lernt das Kind nur eines: das Leben fürchten. Wenn einer noch vor dem Lesenlernen 87 Sünden herunterschnurren kann und alle Schuld der Welt auf seine schmalen Schultern gehäuft wird, ist es kein Wunder, dass er später mit Religion, zumal kirchlich organisierter, nichts mehr am Hut hat. Für das Kriegsgewinnlertum des Vaters, der sich zwei »arisierte« Läden unter den Nagel reißt, oder die Grausamkeit eines Nazis, der einem im Viehwaggon gefangen gehaltenen Russen die Hand abschlägt, hat der Erzähler nur Verachtung übrig; zum Eingreifen ist er zu jung. Vergeben und vergessen sind aber weder die kleinen Schweinereien noch die großen Untaten. Und an das für alle sichtbare Verschwinden jüdischer Nachbarn wird hier laut und deutlich erinnert.
     Dennoch hatte die Entbehrung der Kindheit, will man dem Erzähler Glauben schenken, auch ihr Gutes. Er habe gelernt, wie wenig er wirklich brauche und dadurch die »größtmögliche Unabhängigkeit« erfahren. Sie hat ihm aber auch einen unbändigen Appetit auf das Leben beschert. Der Erzähler dieses Buches liebt das gute Leben, nicht unbedingt den Luxus, aber gute Gespräche, den Wein und die »Kunst des seligen Saufens«, Freude um der Freude willen und, auf eine unbefangen chauvinistische Art, die Frauen. Augenzwinkernd gesteht er, dass dies wohl doch »saure Trauben« seien, denn nie haben ihn die Frauen erhört.
     Nach der Lektüre des Gastmahls auf Gomera will uns Janosch vertraut scheinen. Doch Vorsicht ist geboten. Der Janosch, der sich in diesen Seiten präsentiert, ist eine Kunstfigur, die mit den Erwartungen seines Interviewers Skral und denen der Leser gleichermaßen spielt und sich einen Heidenspaß daraus macht, beide an der Nase herumzuführen. Immerhin warnt er des öfteren davor, den Roman seines Lebens allzu ernst zu nehmen: »Ich nahm mir vor zu lügen. Interviews müssen dazu genutzt werden, sich zu verbergen. Wer einen Autor kennen will, soll seine Bücher lesen.« Das eigentliche Fazit von Janoschs Lobgesang auf das Leben ist, dass man letztlich gar nichts müssen muss: »Man muss nur so unbeschadet wie möglich das Leben überstehen. Und das größte Glück: mit sinnenhafter Freude ohne Furcht vor irgendetwas durchkommen.«

Ulrich Struve

Janosch, Gastmahl auf Gomera. Roman. München: Goldmann, 1997. Geb., 188 S., 36,90 DM/18,87 EUR (Preisangabe ohne Gewähr). ISBN 3-442-30662-0.


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