| Wer bekam noch mal den diesjährigen Oscar für die beste Regie, welche Schauspieler wurden prämiiert? War es oder wird es »The Blair Witch Project«, vom Magazin »Time« in seiner Titelstory zum gruseligsten (und profitabelsten) Film aller Zeiten erklärt? In den USA ein Straßenfeger, der mit minimalem Budget, aber mit genialem Marketing und via Internet unter die Leute gebracht wurde. Die Zeiten ändern sich, klein wird fein, der nächste Oscar-Preisträger könnte Danny de Vito sein. Aber einer ging bislang bei all diesen Ehrungen, ob Oscar, Cesar oder Bambi, leer aus. Der wichtigste von allen, der Zuschauer. Dies sollte sich ändern, wenn der demokratische Anspruch des Fernsehens oder des Kinos noch ernst genommen sein will. Ich schlage daher vor, zunächst nur für Deutschland, dass zukünftig auch ein Preis für den besten Zuschauer und die beste Zuschauerin vergeben wird. Disqualifiziert ist natürlich derjenige, der bereits nach 15 Minuten das Kino verlässt, oder im Fernsehen davonzappt. Treue sollte gewürdigt werden. Ergriffenes, tränengerührtes Schauen während der Vorstellung, stehender Applaus an ihrem Ende. Wiederholter Besuch, Wunderkerzen, Feuerzeuge, Kult, man erinnere sich an das Publikum der »Rocky Horror Picture Show«, hier wurden Maßstäbe gesetzt! FernSeher, die keine einzige Folge der heiß geliebten Serie versäumen, Dallas vom spannenden Anfang bis zum dekadenten Ende, Lindenstraße auf und ab, und »Ally Mc Beal« ist für jede emanzipierte Frau der Höhepunkt der Woche. Der erste Bambi für den besten Zuschauer sollte posthum verliehen werden: An einen wenig bekannten Mann, der dem Medium Film in äußerster und kaum überbietbarer Konsequenz seine Treue bezeugte. Im Juni berichtete dpa in einer kleinen Meldung, dass in der Stadt Brandenburg an der Havel ein Toter entdeckt wurde, der bis dahin offenbar unbemerkt vier Jahre in seiner Wohnung vor dem Fernsehgerät saß. Wer, wenn nicht dieser unbekannte und heute 55-jährige Mann, hat sich in gleicher Weise um Quoten verdient gemacht? War es von unseren Programmdirektoren zu viel verlangt, solch einem Mann die letzte Ehre zu erweisen? Doch leider wird auch heute der einzelne Mensch allzu leicht aus den Augen verloren. »Lasst die Toten ihre Toten begraben, wir aber verkünden das Reich der Quoten«, so oder ähnlich mögen sie gedacht haben, unsere Fernsehgewaltigen. Zeit, dass sich dies endlich ändert, dass in unserer schnelllebigen Medienwelt endlich auch der Einzelne und sein Schicksal bemerkt wird. Was mag dieser Mann in Brandenburg vor vier Jahren wohl gesehen haben, bei welchem filmischen Höhepunkt setzte sein ergriffenes Herz aus? Vielleicht war es eine Schlagerparade, vielleicht war es Rex Gildo, der ihm das Lied des Todes spielte. Fiesta Mexicana. Und während er für das »Hossa« gerade aufstand und die Arme hob, brach er zusammen - getroffen von einem elementaren, letalen Schmerz. Glück im Unglück, denn wenn dieser Schlagersänger sein Idol war, sollte er von dessen tragischem Schicksal nichts mehr erfahren. Wir aber, wir so oft unaufmerksamen, ungeduldigen Zuschauer sollten jenen einsamen, stillen Dauerschauer würdigen: Bambi to the dead man watching! Vorausschauend Ihr Wilhelm Weller |