Auch enttäuscht? Über den Rubikon des neuen Aeon geschritten und Sie leben noch immer? Nicht jeder besitzt den gleichen Mut zur Apokalypse wie mein nun leider dahingeschiedener Freund Johannes. Es ging ihm schlecht in diesen letzten Tagen. Zu viel war ihm gescheitert, noch jede seiner Prognosen und Prophetien zum nahen Weltenende erwies sich als Paukenschlag ins kalte Wasser. Und welch wahrer Gläubiger war er! Wie oft hörte ich ihn Neil Diamonds altes Liedchen summen: »I'm a believer«. Nach der letzten Sonnenfinsternis, einem völlig belanglosen Spektakel, an welchem nur die Hersteller silbern beschichteter Eintagsbrillen ihre Freude hatten, besuchte er mich zum letzten Mal. Er wirkte geknickt, entmutigt - ein Mann, dem ersichtlich seine letzten Träume und Albträume abhanden kamen. »Ich habe alles verloren, restlos alles«, murmelte er in seinen so lang gewordenen Bart. Er hatte sein gesamtes Vermögen in einem Londoner Wettbüro auf den Weltuntergang verwettet mutig fürwahr, die Wetten standen schließlich 150 000 : 1 gegen ihn.
Im Nachhinein begriff ich sein offenbares Elend an diesem Tag mit einer Taktlosigkeit ohnegleichen verhöhnt zu haben. Eigentlich sollte es ihm Trost sein. Ich legte Milva auf: »Hurra, wir leben noch«. Er erbleichte, sah mich kurz an, seine Gesichtszüge spiegelten Ekel, degoutanteste Verachtung. Ohne auch nur ein Wort des Abschieds zu äußern, erhob er sich und ging von dannen. Viele Jahre guter Freundschaft gingen in jenem Moment zugrunde. Wie mochte einem Menschen zumute sein, der Mal um Mal um seine Erwartungen betrogen wird? Jehovas Zeugen, Sonnentempler, Fiat Lux, Gabriele Wittek, Jutta Ditfurth kaum eine Station, welche das jüngste Gericht erhofft, ließ Jo auf seinem letztlich einsamen Weg in den Untergang aus. Fast hätte es vor wenigen Jahren zur Teilnahme am Flammeninferno der Davidianer-Sekte in Waco, Texas, gereicht. Bei seinem Last-Minute-Flug über den großen Teich kam es aufgrund einer völlig deplatzierten Bombendrohung zu einer Verspätung. Die Apokalypse des David Koresh in seiner texanischen Festung konnte er leider nur noch aus sicherem Abstand aufseiten der belagernden Polizisten erleben. Bereits damals mag bei meinem Freund der Entschluss gereift sein, nichts mehr dem Zufall zu überlassen. Ja, er glaubte fest daran, dass es diesmal, DIESMAL, endlich soweit sei. Die Apocryphen, Daniel und Henoch einerseits, Satan und Bill Gates andererseits, drei Nullen, die erste Primzahl, deren Quersumme mit sich übereinstimmt, Computer-Chaos, dann der Jahrhundertorkan Lothar, der Eiffelturm wackelt, in letzter Minute tritt Jelzin zurück, Kohl zerbröselt, Schröder faselt, Zeichen, überall Zeichen, Techno-Tempel, Laserstrahlen brennen Löcher in den Himmel und Zeichen an die Wand.
Nachdem ich im Radio von einem spektakulären, tragischen Unfall in der Silvesternacht hörte, mitten in Frankfurt, vor dem Römer, ahnte ich bereits etwas. Als ich bei ihm anrief, war Hanne am Telefon, seine Schwester. »Na, habt ihr das neue Jahrtausend gut angefangen?« »Hast du es denn noch nicht gehört?«, schluchzte sie. Dann erzählte sie stockend, unterbrochen von Weinkrämpfen, die ganze Geschichte. Jo hatte sich schon einige Tage vorher bei Aldi für 17,98 DM das einfache Feuerwerks-Sortiment gekauft. Nach der verlorenen Wette im August musste er mit jedem Pfennig rechnen. Natürlich hatte er wieder Andeutungen gemacht bald habe alles ein Ende, wie üblich. Niemand nahm es noch ernst. Niemand bemerkte in dem Rummel rund um den Römer, wie er eine seiner Raketen aufbaute. Und niemand achtete darauf, wie er sich deren Spitze in den Mund schob. Er musste sie exakt 10 Sekunden vor 24:00 gezündet haben. In dem pünktlich einsetzenden Geballer war er schließlich ganz untergegangen - sein kleiner, lautstarker Weltuntergang. Neben ihm fand man noch seinen dudelnden Walkman. Auf einem Endlosband lief ein Liedchen von Neil Diamond: »What a beautiful noise«.
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