Näumanns NörgeleiEine Tasse Kaffee
Monatliches vom Café-Tisch - März 1998


Helmuth Schröder und der Transrapid

Näumann am Café-TischLetztes Wochenende war ich in Hamburg. Das funktionierte so: ich lief zur U-Bahn, fuhr bis zum Bahnhof Zoo (10 min), bestieg den Intercity 806 »Clara Schumann«, glitt sanft immer geradeaus und befand mich zwei Stunden und zwanzig Minuten später am Hamburger Hauptbahnhof.
     Vorsintflutlich!
     In Zukunft soll das nämlich ganz anders werden. Moderner und standortgerechter. Dann werde ich zum Bus laufen, bis zum Lehrter Bahnhof fahren (10 min), den Transrapid 806 »Hannelore Kohl« besteigen, sanft immer geradeaus gleiten und mich zwei Stunden später am Hamburger Hauptbahnhof befinden.
     Das wird schön. Der Zug angenehm leer, nur ein paar geföhnte Yuppies, die den Transrapid so umwerfend chic finden und immer wieder betonen, dass der Handy-Empfang ja »so viel besser ist als früher.« Außerdem ein paar Geschäftsreisende, die den horrenden Fahrpreis sowieso nicht selbst bezahlen müssen.
     Ansonsten ist das Magnetding hoffnungslos gescheitert. Eigentlich alle Versuche, es nachträglich mit Sinn und Zweck auszustatten, treffen ins Leere. Zum Beispiel diese bescheuerte Aktion kurz nach seiner Einweihung, als Berliner und Hamburger untereinander ihre Wohnungen tauschen sollten. Der Transrapid ist daraufhin morgens und abends so voll gestopft mit Pendlern, dass er nicht mehr schweben kann und einfach stehen bleibt. Oder das Projekt »Hamburg geht in Berlin in die Oper«. Völlig daneben, denn vor kurzem ist wegen fehlender Haushaltsmittel - der Verkehrsetat beträgt durch die Subventionen für den Transrapid mittlerweile über achtzig Prozent- das letzte Berliner Theater geschlossen worden.
     Dafür geht in Brandenburg die Arbeitslosigkeit zurück. Durch eine grandiose Idee eines pfiffigen Abteilungsleiters im Bundesarbeitsministerium werden im Rahmen von »Brandenburg winkt« tausende neuer ABM-Stellen geschaffen. Tagtäglich säumen glückliche Menschen die Strecke und winken freundlich den vorbeifahrenden Transrapidzügen zu. Das traditionelle Handwerk erlebt durch die plötzliche Nachfrage nach Winkelementen den größten Boom seit dem Tod von Walter Ulbricht und mit hunderten neuer Schnellimbiss- und Getränkebuden entlang der Strecke, die der Versorgung der professionellen Winker dienen, erfährt die Gastronomie einen ähnlichen Auftrieb wie nach der Wende 1989/90. Brandenburg hat den Sprung in die Dienstleistungsgesellschaft gemeistert, und, Hand aufs Herz, wer ist nicht auch ein bisschen Stolz darauf, dem vorbeibrausenden Fortschritt zuwinken zu dürfen?
     Mit Recht hat doch der neue Bundeskanzler Helmuth Schröder betont: »Die Modernisierung muss sozial abgefedert sein.«

Johannes Näumann


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