Ästhetischer Snobismus
Dieter Löwenbrück über die Hörbücher von Wiglaf Droste

Autorenfoto Wiglaf Droste
Wiglaf Droste (Foto: Sunhild Pflug)
Wenn Autoren ihre Bücher selbst vorlesen, so klingt das häufig ziemlich schlecht. Menschen, die gut schreiben, können nicht unbedingt gut vorlesen. Als negatives Beispiel sei hier »Der Lebenslauf der Liebe« von Martin Walser genannt. Entweder wird grämlich genuschelt, der Text wird nicht richtig betont, oder die Stimme passt schlicht nicht zu dem, was da vorgetragen wird.
     Wiglaf Droste gehört zum Glück nicht zu diesen Autoren. Wie auch bei Elke Heidenreich und Robert Gernhardt kann man kann sich kaum vorstellen, dass hier die Texte jemand besser interpretieren könnte als die Autoren selbst.
     »Ich schulde einem Lokführer eine Geburt« und das etwas ältere Werk »Das Paradies ist keine evangelische Autobahnkirche« sind keine Hörbücher im eigentlichen Sinne, zumindest keine mit einer durchgängigen Handlung. Die 19 bzw. 35 Texte sind vielmehr eine bunte Sammlung von humorvoll erzählten Geschichten, die autobiografisch sein könnten. Es sind häufig durch gesunden ästhetischen Snobismus geprägte bissige Kommentare zu Modeerscheinungen, satirische Betrachtungen der Angewohnheiten anderer Leute und Schilderungen abstruser Vorlieben mancher Mitmenschen. Droste spielt gekonnt mit der Sprache und nutzt alles, was diese bietet, vom Gossenslang bis zum Philosophenzitat. Er ist sich auch nicht zu schade, einzelne Passagen zu singen, wenn es der Text erfordert.
     Besonders gut ist die Idee, seine literarischen Schöpfungen nicht als Livemitschnitt einer seiner Lesungen zu veröffentlichen, sondern als »Studioaufnahme ohne Appläuse u. ä. Publikumsgeräusche«, wie es eine der gut gestalteten CD-Hüllen bereits vorab erläutert. Man kann also selbst entscheiden, worüber man lediglich schmunzeln will und an welchen Stellen man lauthals hinauslachen möchte (was beim ersten Hören durchaus passiert).
     Inhaltlich überrascht vor allem die Auswahl der Themen. Mal geht es um nervenden Handwerkerlärm und die Wirkung, die dieser auf den Geplagten hat, mal um den Französischunterricht der Schulzeit und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Die Werbung für Herrendüfte wird genauso auseinander genommen wie die Wahl eines Produktnamens für ein Spannbett-Tuch. Eine Episode handelt von einem etwas ungewöhnlichen Arztbesuch, andere befassen sich mit den (berechtigten?) Vorurteilen gegenüber Spaniern oder Belgiern.
     Lediglich ein Thema taucht immer wieder auf: das Essen. Der Hobbykoch und langjährige Freund von Starkoch Vincent Klink betrachtet es von allen Seiten, tranchiert es regelrecht, wobei die Beschreibung ekelerregenden Imbissfraßes ebenso vorhanden ist wie die Schilderung der fröhlichen Zubereitung eines Abendessens in Erwartung von Damenbesuch.

Für Freunde satirischer Texte sind beide bei »Mundraub« erschienenen CDs echte Kaufempfehlungen. taz-Lesern dürften viele der Texte jedoch nicht ganz unbekannt sein, da sie dort bereits auf der Wahrheitsseite zu lesen waren.

Dieter Löwenbrück

CD Cover: Ich schulde einem Lokführer eine Geburt CD Cover: Das Paradies ist keine evangelische Autobahnkirche Ich schulde einem Lokführer eine Geburt, 1 Audio-CD. Audio CD. 2003. Frühstyxradio. ISBN/EAN: 9783821855042  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Wiglaf Droste: Das Paradies ist keine evangelische Autobahnkirche, 2 Audio-CDs. 145 Min.. 2001. Best.-Nr.6007-2. Mundraub. 20,50 EUR
Hörbeispiel: Bombardiert Belgien! (MP3-Datei/1 MB)

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