Ein Preis für den Trommler Jan Ulrich Hasecke über die Verleihung des Literaturnobelpreises 1999 an Günter Grass
Es gehört zum Ritual gewisser Kreise, den Literaturnobelpreis mit näselnder Stimme als - man höre den angeekelten Vorwurf - politischen Preis zu bezeichnen, der es mit den literarischen Qualitäten nicht immer so genau nimmt. Zurzeit wird dieser Vorwurf wieder einmal besonders laut, denn mit Günter Grass ist ein Schriftsteller für sein Lebenswerk geehrt worden, der vielen schon einmal kräftig auf die Füße getreten hat. Die Nörgelei im rechten Blätterwald richtet sich aber nicht nur gegen Günter Grass, den Trommler, der die deutsche Literaturszene immer wieder aus dem Gleichschritt gebracht hat. Es ist der, wie die WELT in ihrem Kommentar so verräterisch schreibt, »schmerzhafte« Aufschrei einer politischen Clique, die mit großer Beharrlichkeit und geschickter Subversion ein Ziel erreicht hatten, dass vor zehn, fünfzehn Jahren noch weit weg in utopischer Ferne lag: die vollständige Entpolitisierung der Literatur. Die Zeitgeist-Literatur der 80er und 90er-Jahre, sie kommt so glatt, so unpolitisch daher, dass es für die Herren da oben eine wahre Lust sein muss, sie zu verkaufen. Der politische Eskapismus der ästhetischen Avantgarde wurde gehegt und gepflegt, wo es nur möglich war. Befördert von der Anything-goes-Mentalität der Postmoderne war es plötzlich möglich, sich im Menschenpark Schriftsteller heranzuzüchten, die bar jeden politischen Engagements waren. Politische Literatur wurde anrüchig und als Zeigefinger-Literatur verspottet. In diesem brackigen Wasser der Beliebigkeit ließ es sich leben, schreiben und Geld verdienen. Nur manchmal musste man noch unter dem Altersstarrsinn eines Grass leiden, der gottseidank in Deutschland immer weniger und immer ältere Leser erreichte. Die Jugend hatte man auf Hip-hop-Literatur getrimmt, sie tanzt schon lange lieber auf der Loveparade als aus der Blechtrommel, dem Butt oder dem Weiten Feld ihre Lehren zu ziehen. Mir scheint es so, als habe sich das Nobelpreiskomitee diesen Preis für Günter Grass sorgsam aufgespart. Vor Jahren wäre dieser Preis nicht mehr als eine Verbeugung vor einem der größten deutschen Schriftsteller gewesen. Heute aber, in einer Zeit, in der die Handkes ins serbische Nirvana flüchten, die Walsers mit pflaumenweichen Brandreden ein deutsches Publikum in einen stehenden Begeisterungstaumel reißen und kleine Möchtegern-Nietzsches von Menschenzucht faseln, da haben wir alle, nicht nur Grass, diesen Preis so nötig, wie 1929, 1946, 1966 oder 1972; wir haben ihn so nötig wie die Sowjetunion in 1958, 1965 und 1970 oder Polen in 1980, dem Jahr der Solidarnosc; wir haben ihn so nötig wie Nigeria und Ägypten in den 80ern oder Mexiko und Südafrika in den 90er-Jahren. Der letzte Literaturnobelpreis in diesem Jahrhundert geht an einen deutschen Schriftsteller. Er ist eine ernste Mahnung an ein Land, das in Selbstvergessenheit abgerutscht ist; an ein Land, in dem die kritische Stimme des Schriftstellers vom Lärm der Börsen, der Talkshows und der Multimediaindustrie erstickt worden ist; an ein Land, in dem die Beliebigkeit die Macht ergriffen hat, in dem man sich weigert, anzuerkennen, dass Literatur immer politisch ist und es nur zwei Arten gibt, damit umzugehen: entweder du bist der einschmeichelnde Pianist im roten Salon der Herrschaft, oder du trommelst bis aus Marschmusik ein Walzer wird.
»Ein Preis für den Trommler« stammt aus juh's Sudelbuch und ist die Sudelei zum 1. Oktober 1999. Die Sudeleien von Jan Ulrich Hasecke können Sie dort auch täglich per eMail beziehen.
Lesen Sie außerdem im Literatur-Café die Buchbesprechung zu Grass' letztem Buch »Mein Jahrhundert« und die Nörgelei vom Oktober '99 von Wilhelm Weller.
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