Der literarische Treffpunkt im Internet für Autoren, Leser, Verlage und alle Literatur-Begeisterten. Aktuelle Berichte, Gedichte, Kurzgeschichten, Buchtipps, Hörbücher und Podcast.
Das Literatur-Café unterstützte den Schreibwettbewerb für Jugendliche, dessen Einsendeschluss der 9. Januar 2004 war. Das Thema lautete »Zivilcourage«. Jury-Mitglied Wolfgang Tischer, Gründer und Chefredakteur des Literatur-Cafés, hat sich dazu ein paar Gedanken gemacht, die auch über den Wettbewerb hinaus gültig sind und nicht nur für Jugendliche lesenswert sind.
|
Vom Schreiben über das Thema Zivilcourage
von Wolfgang Tischer
Schreibt was zum Thema Zivilcourage. Das klingt wie ein Erörterungsthema aus dem Deutschunterricht. »Erörtern Sie, warum Zivilcourage gerade in der heutigen Zeit besonders wichtig ist.« Bäh, wenig spannend.
Aber hier geht es nicht um Begründungen, sondern um Literatur. Es geht um Gedichte und Geschichten, um Dinge, die man selbst erlebt hat oder frei erfunden sind. Um eure Fantasie. Alles ist möglich.
Du hast die Macht! An deine Geschichte sollen sich die Leser erinnern. Wenn sie gut ist. Aber was ist eine gute Geschichte?
Zunächst sollte sie zum Thema passen. Logisch. Du kannst nicht über irgendwas schreiben. Zivilcourage. Was ist das eigentlich? Ich musste auch überlegen. Hat irgendwas mit »sich einmischen« zu tun. Vielleicht auch mit »anderen helfen«. Also Brockhaus fragen. Der sagt: Mut, die eigene Überzeugung ohne Rücksicht auf eigene Gefährdung oder mögliche Nachteile gegenüber Obrigkeiten, Vorgesetzten oder in der Öffentlichkeit zu vertreten .
Interessante Definition, denn wenn man das nochmal liest, dann steht da nicht, ob die eigene Überzeugung tatsächlich richtig sein muss. Dennoch denkt vielleicht jeder an so was wie »beherzt eingreifen«. Also eher positiv.
Mir und sicher auch dir fallen da gleich mal so ein paar Standardsituationen ein. Einschreiten, wenn zwei auf dem Pausenhof aneinander geraten. Oder wenn in der U-Bahn ein Ausländer oder Behinderter angepöbelt wird.
Klar, da kann man eine Geschichte von machen. Nur: glaubst du, dass die Geschichte an sich interessant ist? Nein, sicher nicht. Weil man diese Geschichte schon unzählige Male gehört hat. Vielleicht sagst du jetzt: »Hey, habe ich aber wirklich schon mal erlebt oder davon in der Zeitung gelesen.« Aber das spielt hier keine Rolle. Und es droht auch noch erhöhte Kitsch-Gefahr!
Wie das? Nun, Kitsch bedeutet immer ein »Zuviel« von irgendwas. Das Gemälde des röhrenden Hirsches am Bergsee und die untergehende Sonne. Wenn du eine gute Geschichte schreiben willst, solltest du Kitsch vermeiden. Und die Kitsch-Gefahr droht hier z.B. wenn ihr in einer Geschichte ein paar Skinheads eine Türkin anpöbeln lasst und der Held, ein Deutscher, wirft sich mutig voller Zivilcourage dazwischen, die Skins suchen das Weite und der Retter und die Gerettete verlieben sich dann unsterblich. Ihr wisst was ich meine. Kitsch eben. Solltet ihr vermeiden.
Aber wie? Es gibt einen ganz einfachen Trick: versucht euch an einer anderen Perspektive. Versucht euch doch mal in die Figur hineinzuversetzen, die ihr in eurer Geschichte gar nicht leiden könnt. Klingt vielleicht erst mal merkwürdig, aber ihr steht dann vor der interessanten Aufgabe, die jeder Schauspieler hat, wenn er einen Bösewicht spielen muss. Denkt außergewöhnlich! Ihr sollt über Zivilcourage schreiben? Dann schreibt mal nicht über einen, der mutig ist, sondern über einen, der feige war.
So funktioniert Literatur, so gewinnt ihr den Leser, wenn ihr Erwartungen nicht erfüllt. Denkt z.B. mal an Liebesgeschichten. Die gibt es wie Sand am Meer. Und in jedem Kitschroman wird es ein Happyend geben. Das erwartet der Kitschroman-Leser. Aber er wird den Roman schnell vergessen haben. Im Gedächtnis bleiben nur die außergewöhnlichen Liebesgeschichten.
Ich habe euch ein paar Beispiele gegeben, befolgt nicht alle. Die Möglichkeiten sind vielfältig.
Aber: greift nicht zum Holzhammer. Denn auch dafür ist das Thema Zivilcourage anfällig. Bei Gedichten vielleicht noch mehr als bei Geschichten. Versucht also nicht, eine Botschaft allzu plump rüberzubringen. Das Thema könnte dazu verleiten. Du willst zeigen, wie wichtig Zivilcourage ist, willst es dem Leser sehr deutlich sagen. Aber gute Texte wirken zwischen den Zeilen, sie brauchen keinen mahnenden Fingerzeig oder eine Erklärung für den Leser. Es mag merkwürdig klingen, aber viele Geschichten werden besser, wenn man die letzten Sätze, den letzten Absatz weglässt. Viele Autoren neigen dazu, hier eine Erklärung anzuschließen, eine Auflösung oder eine kleine Episode. »Dieses Erlebnis hatte ihr wieder einmal gezeigt, dass ...« oder »Nie mehr würde er künftig ...«. Prüft einmal euer Werk darauf hin, ob ihr am Schluss Dinge wegstreichen könnt. Häufig gewinnt die Geschichte an Wirkung, wenn der Schluss offen bleibt. Der Leser ist nicht blöd, und eure Geschichte sollte für sich stehen und braucht keine Erklärung.
Und für den Anfang der Story gilt das auch. Viele beschreiben erst mal das Wetter oder lassen den Protagonisten der Geschichte aus dem Fenster schauen. »Es war ein kalter Herbststag. Grauer Nebel lag über der Stadt, als er die kleine Bäckerei betrat.« Wenn es hier um die Vorkommnisse in der Bäckerei gehen soll, dann ist dieser Wetterbericht überflüssig. Dann ist es vielleicht sogar überflüssig zu beschreiben, dass er die Bäckerei betrat. Das ist logisch, denn sonst könnte er nicht beschreiben, was drinnen passiert. Prüft also auch hier, ob eure Geschichte da anfängt, wo sie wirklich anfängt.
Und wo wir gerade beim Weglassen und Streichen sind: muss ein Herbsttag kalt sein, die Bäckerei klein, der Nebel grau? War Nebel jemals grün? Weg mit den Adjektiven! Auch sie sind fast immer überflüssig. Kitsch eben.
In der Altersklasse unter 18 Jahre haben gewonnen: Julia Helbig: Anders In der Altersklasse ab 19 Jahre: Katharina Peter: Mega-Engel-Quadrat |
31.10.2003
Update: 15.03.2004