Mord bei Rotwein und Kerzenlicht

Eine Lesung der »Räuber ‘77«

Im Rahmen des »Mannheimer Literaturzirkus 1998« veranstaltete die Literatengruppe »Räuber ‘77« eine Lesung der besonderen Art: Unter dem Motto »Mord(s)geschichten und -gedichte« versuchten 10 Autoren der Gruppe ihrem Publikum eine wohlige Gänsehaut zu verschaffen. Für ein entsprechendes Ambiente war gesorgt: Über der ganz in schwarz gehaltenen Bühne baumelte ein Strick als morbides Symbol, beleuchtet wurde der Raum nur von kleinen Kerzen auf den Tischen und aus totenkopfgeschmückten Flaschen wurde Rotwein ausgeschenkt. Musikalisch umrahmt wurde die Lesung durch Drehorgelmusik (gespielt von Heinz Löwer).
     Im Mittelpunkt der durchweg kurzen Texte, die eigens für diese Veranstaltung geschrieben waren, standen nicht die Verbrechen selbst, sondern die psychologischen Hintergründe und Motive der Täter. Die Autoren versuchten, einen Blick in die Abgründe der menschlichen Seele zu werfen. Abgesehen von der Erzählung Antje Ippensens (»Tote zahlen keinen Vorschuss«), die auf einer Saturn-Kolonie in ferner Zukunft spielt, und sich eher des klassischen Krimi-Sujets bedient, sind es Menschen, denen man im Alltag begegnen, die unsere Nachbarn oder gar Bekannte sein könnten, die zu einer kriminellen Tat getrieben werden. Professor Bouhm in Wolfgang Hubachs gleichnamiger Erzählung verliert seine Frau durch einen Raubüberfall. Seine Verzweiflung weicht erst dann neuer Energie, als Bouhm die Möglichkeiten erkennt, die ihm Computer und Internet bieten: bald ist ein Täterprofil erstellt, die jugendliche Räuberbande ausfindig gemacht, eine Bombe gebaut – Bouhm nimmt Rache. Unter ihrem Ehemann, der sich widerlich gebärdet, leidet die Protagonistin in Gertrud Häffners »Schlussakkord«: Die kleine alte Frau entsorgt den Gatten unter Aufbietung all ihrer Kräfte in den Fleischtruhen verschiedener Supermärkte, sorgsam verpackt. Anna Jekill in Margit Hargesheimers Erzählung »Anna Jekill und Mona Hyde« fällt hier etwas heraus. Die unscheinbare Hausfrau, von ihrem Mann ständig hintergangen, rächt sich auf eine ganz besondere Art: per Kleinanzeige bietet sie enttäuschten und betrogenen Ehefrauen ihre Killerdienste an und führt die Aufträge unter dem »Künstlernamen« Mona Hyde nüchtern und raffiniert aus. Die Geschäfte laufen gut und die im Verborgenen wohlhabende Anna kann sich auf sorgenfreie Tage freuen.
     Äußerst makaber ist Ludwig Mahners »Das Märchen vom freien Fall«, das im Stil der Brüder Grimm erzählt, wie eine Mutter ihr Kind aus dem Fenster in den fast sicheren Tod wirft – nicht jedermanns Geschmack. Insgesamt zeigte der Abend sehr unterschiedliche Möglichkeiten, sich der dunklen Seite des Menschen zu nähern und uns vor Augen zu führen, wie schmal der Grad zwischen gut und böse mitunter sein kann. Hierin lag das eigentlich Schaurige der »Mord(s)geschichten«.

Wolfgang Wegner
06.10.1998


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