Wellers Wahre Worte am Café Tisch
Oktober 2001 - Die monatliche Kolumne von Wilhelm Weller


Schluss mit lustig?
Interview mit dem Entertainer Stefan Raab über die Krise der deutschen Spaßgesellschaft
Wilhelm Weller


Nach den Anschlägen in den USA wurde von vielen Kommentatoren das Ende der Spaßgesellschaft ausgerufen. Welchen Stellenwert besitzen Zynismus und Ironie noch, wenn es offenkundig Wichtigeres und Ernsteres gibt als den nächsten Kalauer?
     Darüber sprachen wir in einer kurzen Video-Konferenz mit Stefan Raab, einem maßgeblichen Repräsentanten der deutschen Spaßgesellschaft.

WW: Stefan, man hat dich kritisiert weil du…

SR: Hi!

WW: Hi! Also man hat dich kritisiert, weil du mit deiner Sendung schon am 17. September zurück im Fernsehen warst, während  sich Harald Schmidt nach den Ereignissen vom 11. September ganze zwei Wochen Sendepause und Nachdenken gönnte.

SR: Ich bin eben so eine Art Frontschwein des deutschen Humors. Aber im Ernst: Ich kann Kritik einstecken, außerdem habe ich nicht den pseudo-intellektuellen Anspruch, wie ihn Harald kultiviert.

WW: Anspruch hin oder her. Aber was sich in Amerika abspielte, lässt sich durch Humor und Zoten definitiv nicht auflösen. Wie gehst du mit so einem Ereignis um?

SR: Also zunächst mal: Zoten sind nicht mein Ding. Klar, ich meine, das hat mich äh betroffen gemacht. Wenn ich äh ehrlich bin, mir ist auch das Lachen vergangen. Andererseits habe ich meinen Job. Und solange das Studio nicht zusammenkracht, mache ich diesen Job.

WW: Du weißt um die Auswirkungen dieses Anschlags: Fluggesellschaften gehen kaputt, das Broadway kriselt, Hollywood stellt Produktionen zurück oder hält sie zurück, das Katastrophen-Genre ist out...
     
Siehst du für dein Geschäft langfristig Gefahren?

SR: Nur kurzfristig. Aber Mann,  ich bin flexibel. Denk mal an Marilyn Monroe oder Marlene Dietrich, die machten Shows für die GIs. Ich würde TV Total auch in Afghanistan durchziehen.

WW: Vor deutschen Soldaten?

SR: Ja, warum nicht? Die brauchen doch keine Trauerklöße.

WW: Harald Schmidt hat sich schon vor den Anschlägen behutsam vom reinen Comedy - Format abgesetzt. Durch seine verblüffend gute Imitation des Literarischen Quartetts schien er sich für einige sogar als Nachfolger von Reich-Ranicki ins Gespräch zu bringen.
     Könntest du dir den Wechsel in ein ernsteres Format vorstellen, Quiz-Sendungen zum Beispiel?

SR: Der Jauch ist total glatt, der macht wirklich alles, Sport oder Quiz oder was weiß ich. Ich bin aber wirklich ein lustiger Typ. Also das müsste schon so ein heiteres Raten sein. Oder eine lustige Kochsendung, ich bin ja immerhin gelernter Metzger.

WW: Aber du hast keine konkreten Pläne.

SR: Nein, also erst mal mach ich mit TV Total weiter, wir schauen uns natürlich die Quoten an.

WW: Etwas anderes: Man wirft dir moralischen Nihilismus vor, dass du mit deiner zelebrierten Dekonstruktion bürgerlicher Umgangsformen und humaner Werte gewissermaßen das humoristische Äquivalent zum gewalttätigen Terrorismus eines Bin Laden bist.

SR: Moment mal, das sind mir zu viele Fremdwörter. Ich soll etwas mit Bin Laden zu tun haben? Das ist doch Blödsinn. Soll ich etwa Angst haben, dass morgen eine Kommandoeinheit der Amerikaner vor meiner Tür steht? Ich kenne diesen Laden überhaupt nicht, außerdem bin ich christlich getauft.

WW: Ich glaube, du hast mich nicht richtig verstanden. Aber ich muss leider zum Ende kommen und da möchte ich dir als Anerkennung für deine Verdienste um den deutschen Humor noch den „Raab des Jahres" zusprechen. Alles Gute und weiterhin viel Erfolg, Stefan!

SR: Äh, danke, äh, ha ha!

PS: Das Interview mit Stefan Raab kann demnächst an dieser Stelle auch im Real Audio-Format angesehen werden.

 

Wilhelm Weller

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