Frank Lambert: Blickwechsel
Ein dramatischer Thriller in sechs Teilen und einem Prolog


1. Teil

AugeEs regnete seit Tagen, die Straßen von Stralsund waren wie ausgestorben. Seid der Wende hatte sich die Stadt nach und nach in eine permanente Baustelle verwandelt. Viele Straßen waren nicht passierbar ohne sich bis zu den Knien mit Schlamm zu besudeln. Provisorisch hingeworfene Bretter, Decken und Eisenroste erleichterten das Überqueren des kleinen Vorplatzes vor dem Ankereck.
     Die Kneipe war völlig überfüllt, ein süßlicher Geruch lag in der Luft und erschwerte das Atmen. Kranz saß am Tresen und betrachtete sein Gesicht im Spiegel hinter den Flaschen. Er wirkte abwesend, fast träumerisch. Seine Pupillen weiteten sich, wenn er die Flaschen fixierte und sie wurden enger, wenn er versuchte die Farbe seiner Augen im Spiegel zu erkennen. Das fünfte Glas Whisky stand vor ihm und er hatte seit drei Stunden kein Wort gesagt. Um acht Uhr hatte er seinen ersten bestellt, alle weiteren durch einen Blick geordert.
     Als die Tür aufging und das Geräusch des Regens in den Raum drang, drehte er sich um. Im Türrahmen stand ein Mann um die dreißig, sein Gesicht strahlte, als er Kranz erblickte. Mit großen Schritten stürzte er auf ihn zu, umarmte ihn stürmisch und bestellte gleichzeitig zwei Tequilla.
     Kranz, Mann, Mann, Mann. Wo hast’n gesteckt ich such’ dich seit zwei Tagen. Sau Wetter, was? Wo is'n der Junge?
     Ich war hier. Der Junge ist krank, liegt im Bett, oben.
     Er zeigte auf die Tür, die zu den kleinen möblierten Zimmern führte. Unter dem Ankömmling bildete sich eine bräunliche Pfütze, die sich bis zu den Schuhen von Kranz ausbreitete. Kranz trat einen Schritt zurück, setzte sich wieder auf den Barhocker und stellte die Füße hoch. A. holte eine große wasserdichte Tasche unter seinem Mantel hervor, stellte sie auf den Tresen, beugte sich über sie und küsste sie, wie eine Geliebte. Mit beiden Armen umklammert, den Kopf auf ihr ruhend, sah er Kranz mit blitzenden Augen an.
     Kranz war wieder in die Betrachtung seines Spiegelbildes vertieft. Ohne den Blick auf seinen Nachbarn zu wenden zischte er.
     Nimm die verdammte Tasche vom Tresen, und verzieh dich nach oben. Zimmer neun. Hau ab!
     Widerwillig und mit einem Ausdruck der Enttäuschung tat A. was ihm befohlen wurde.

2. Teil

Übersicht

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