»Wir haben erst den Anfang gesehen«

Interview mit Giesbert Damaschke über Kultur und Literatur im Netz

Giesbert Damaschke studierte u.a. Germanistik und Philosophie und promovierte über Wilhelm Raabe. Damaschke war Chefredakteur des eingestellten »Internet-Kulturmagazines« Pl@net und arbeitet heute als freier Journalist. Damaschke schreibt u.a. für Internet Professionell und TV Today Online. Mit Giesbert Damaschke sprach Wolfgang Tischer.


Gisbert Damaschke beim Café-Plausch/Fotos (c) by Wolfgang TischerLiteratur-Café: In Amerika setzte das große Sterben der E-Zines ein, und viele Projekte waren nicht mehr finanzierbar. Wie sehen Sie die Entwicklung der Kultur im Netz? Nähert sich das Netz dem Niveau des Privatfernsehens an?

Damaschke: Kultur im Netz hat die Stellung, die sie auch normalerweise hat, wenn man mal Kultur als großen Begriff nimmt. Also alles, was in diese Richtung geht, wird immer ein Nischendasein führen. Kultur ist kein Massenprodukt, und im Netz wird das nicht anders sein. Nur weil jetzt einige ambitionierte Sachen eingestellt werden, heißt das ja noch lange nicht, dass die privaten Sachen, die kleinen Initiativen, jetzt plötzlich auch aus dem Netz verschwinden.
     Je mehr Leute natürlich reinkommen ins Netz, desto eher gleicht es sich dem Angebot außerhalb des Netzes an. Das geht sicherlich schon in Richtung Privatfernsehen, also mehr in Richtung Entertainment. Das heißt aber nicht, dass gleichzeitig alle kulturellen Angebote den Bach runtergehen.
     Es geht aber sicherlich dann den Bach runter, wenn man glaubt, man müsste das kulturelle Angebot finanziert kriegen. Das geht nicht. Genauso wenig, wie das offline auch geht.

Literatur-Café: Also Kultur nur durch Sponsoring oder persönliches Engagement?

Damaschke: Ich halte es fast für ausgeschlossen, ein kulturelles Angebot im Internet hochzuziehen, das einen gewissen Anspruch vertritt und sich selbst finanziert. Also nicht in dem Netz, wie ich es kenne. Vielleicht, wenn man alle Leute der Welt zusammentrommelt, die an Kultur interessiert sind und die bereit sind, dafür auch was zu zahlen, dann könnten die vielleicht ein, zwei Angebote am Leben erhalten.
     Es gibt wahnsinnig viele spannende Sachen im Netz, gerade auch im E-Zine Bereich, die alle um Aufmerksamkeit buhlen. Ich sehe nicht, wie das alles ohne einen Sponsor funktionieren soll, sei es, dass er Geld gibt oder Technik und Verwaltungskram übernimmt.

Literatur-Café: Sie lesen auch die Mailingliste Netzliteratur. Was halten Sie denn von Literatur im Netz? Ist das Medium für Literatur geeignet, nur weil dort viel geschrieben wird?

"Ich BIN online" (G. Damaschke)Damaschke: Ich finde das manchmal ganz drollig, was da passiert in der Mailingliste. Da wird häufig mit ziemlichem Pathos aufgetreten. Aber ich finde es gut, dass es die Mailingliste gibt, dass es Leute gibt, die sagen, wir definieren jetzt bzw. wir erarbeiten uns, was Netzliteratur sein soll.
     Ich habe bislang noch nichts gefunden, was mich überzeugen würde, was also im Internet der Belletristik entsprechen würde, also die Romanform im Netz weiterschreibt. Aber denkbar ist das sicherlich. Es hängt einfach vom Künstler ab. Wenn der Künstler etwas sagen will oder zu sagen hat - warum auch immer -, dann wird der das auch im Netz können.
     Wir werden Netzliteratur haben, wenn wir sie sehen. Es wird sie mit Sicherheit irgendwann geben, genauso wie es Autoren gibt, die von der Schreibmaschine zum Computer wechseln und die dann anders schreiben. Die werden sicherlich mal anfangen und probieren, was das Netz alles an literarischen Formen erlaubt. Joseph von Westphalen z.B. spielt damit ja auch ‘rum. Über das Ergebnis kann man immer noch streiten, das ist klar. Es ist nicht alles Shakespeare, was da passiert ist, aber wir haben glaube ich erst den Anfang von dem gesehen, was möglich ist.

Literatur-Café: Herr Damaschke, wir danken für dieses Gespräch!

29.03.1998


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