Alternativer Medienpreis 2004: Die Laudatio auf das Literatur-Café
Der Journalist Martin Goldmann hielt bei der Preisverleihung am 7. Mai 2004 in Nürnberg die Laudatio auf das Literatur-Café. Lesen Sie hier die vollständige Textversion.

Laudator Martin Goldmann
Laudator Martin Goldmann

Wenn man das Literatur-Café so ansieht, ahnt man gar nicht, wie alt es schon ist, gemessen an Internet Jahren. Denn das Literatur-Café hat im Juni 1996 eröffnet.

Das Café entstand zu einer Zeit, als eilig in Krawatten geschlungene Jung-Business-Manager nur sagen konnten »Was ist Dein Business-Plan« und »Ihr braucht ein Mission Statement«. Unbeeindruckt von den Protagonisten des B2B, B2C und A nach B setzte Café-Betreiber Wolfgang Tischer ein einfaches Konzept um: Literatur im Web präsentieren.

Die Internet-Kultur-Zeitschrift pl@net erfreute sich schon im August 1996 am »feinen Design« und der »guten Menüstruktur« des Literatur-Café. Der Autor sah virtuellen Zigarettenqualm von Gitanes Mais, ein Gläschen Rotwein, einen Leser, der ab und an bedächtig in die Ferne blickt…

»Nur die Inhalte fehlen,« nölte der pl@net-Schreiber.

Das hat sich geändert. Nach und nach etablierte sich das Literatur-Café als eigenständiger Kultur-Betrieb. Weit abseits des Internet-Booms. Das Café bot – und bietet – Autorinnen und Autoren jeglicher Herkunft und jeglicher literarischer Ambition Gelegenheit, ihre Werke zu veröffentlichen. Von der Kurzgeschichte über das Gedicht bis hin zum Roman.

Doch nicht nur die Präsentation hochgeistiger Literatur gibt es im Café. Hinzu kommen Workshops für angehende Literatinnen und Literaten, humorige Seitenhiebe auf die deutsche Rechtschreibung, Warnungen vor dubiosen Verlagen oder herbe Buchkritiken.

Das Café achtet auf die Sprache und auf Qualität. Nicht jeder Text schafft es auf den Server. Bitter für den Autoren, gut für die Site. Denn solche Qualitätskontrolle tut gut in Zeiten, da sich jeder in Ciao.com, Doyoo.de oder in »blabla bäbä« frei dem Blubberquark hingibt.

Welcher Zeitaufwand hinter der Qualitätssicherung steckt, möchte ich gar nicht wissen - es ist bestimmt nicht wenig.

In Zeiten, da Zeitschriften und Fernsehen von Recycling und Oberflächlichkeit leben, in solchen Zeiten tut es wohl, wenn eine Website ihr Niveau hält. Wenn eine Website ihre Ansprüche nicht der Sucht nach mehr und mehr Visits opfert.

A propos Visits: Da steht das Café nicht einmal schlecht da. 5000 Besucher schauen täglich herein. Wie viele Texte online sind, kann man kaum nachzählen. So um die 1.000 schätzt Wolfgang Tischer. Da hat man eine Menge Zeit zum Stöbern und zum Lesen. Und vielleicht steht dabei auch ein Glas Rotwein neben der Tastatur. Eine Gitane Mais allerdings würde ich dazu nicht empfehlen. Das Zeug kratzt ganz schön im Hals.

Seit 1996 hat sich eine Menge getan im Internet. Das Literatur-Café ist noch da. Es ist beständig, präsent, unterhaltsam, humorvoll, kulturtreibend und literarisch. Und es ist ein verdienter Medienpreisträger.

Herzlichen Glückwunsch!

Martin Goldmann

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07.05.2004