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»Der Salzpfad«: Observer erhebt weitere Vorwürfe gegen das Buch – es wird dünn

Trotz hervorragender Bewertungen: Debbie bewertet ein Café ähnlich wie Raynor Winn (Foto: Screenshot Tripadvisor/ Collage: literaturcafe.de)
Trotz hervorragender Bewertungen: Debbie bewertet ein Café ähnlich wie Raynor Winn (Foto: Screenshot Tripadvisor/ Collage: literaturcafe.de)

Nach den ersten Enthüllungen rund um Raynor Winns Bestseller »Der Salzpfad« legt der Observer in einem weiteren Beitrag erwartungsgemäß nach. Doch diesmal geht es nicht um Betrug oder erfundene Krankheiten, sondern um Darstellungen von Cafés und Unterkünften. Doch die neuen Anschuldigungen wirken eher alltäglich als aufrüttelnd.

Was bisher geschah

Die britische Wochenzeitung The Observer hatte unlängst schwere Vorwürfe gegen das Bestseller-Buch »Der Salzpfad« erhoben. Die Autorin Raynor Winn – deren richtiger Name Sally Walker lauten soll – wurde im Beitrag der Zeitung beschuldigt, die Gründe für ihre Obdachlosigkeit verschleiert und die Schwere von Ehemann Moths Krankheit übertrieben zu haben. Daraufhin wehrte sich Winn vehement gegen die Anschuldigungen und veröffentlichte medizinische Dokumente zum Beweis der Krankheitsdiagnose.

In Erwartung des wirklich großen Skandals

Wie Wolfgang Tischer in seiner Analyse im Podcast des literaturcafe.de bereits vermutet hatte, wird der Observer nach der ersten Veröffentlichung und Winns Gegendarstellung wahrscheinlich noch weitere Vorwürfe »in der Hinterhand« behalten. Journalistisch ist das ein durchaus oft praktiziertes Vorgehen: Man veröffentlicht nicht alles auf einmal, sondern behält sich weitere Punkte für einen zweiten Artikel vor, um die Gegenseite zu verunsichern.

Man hätte nun den großen Skandal erwarten können – etwa, dass das Ehepaar große Strecken des Salzpfades gar nicht zu Fuß zurückgelegt, sondern einen Mietwagen genommen habe. Doch nein – in ihrem neuen Observer-Artikel vom 3. August 2025 beschäftigt sich die Journalistin Chloe Hadjimatheou mit deutlich profaneren Vorwürfen: Einige der im Buch anonym beschriebenen Gastgeberinnen und Gastgeber erkennen sich in Winns Erzählung wieder – und fühlen sich falsch dargestellt.

Paninis, Pub-Quiz und beleidigte Besitzer

Raynor Winn, Autorin von »Der Salzpfad« (Foto: Theroadislong, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)
Raynor Winn, Autorin von »Der Salzpfad« (Foto: Theroadislong, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Die Café-Besitzerin Joanna Cocking aus Mullion Cove in Cornwall fühle sich durch Winns Darstellung ihres Betriebs falsch charakterisiert, wie sie dem Observer berichtet. In »Der Salzpfad« beschreibt Winn eine cholerische Café-Besitzerin, die ihren Angestellten anbrüllt: »What the fuck do you think you’re doing?« (»Was zum Teufel denkst du, was du da machst?«) Der junge Kellner kündigt daraufhin, sperrt das Café ab und wirft den Schlüssel durch den Briefkasten.

Laut Cocking stimme davon so gut wie nichts: Es gebe keinen Briefkasten in der Tür, das Café sei seit Jahren mit Teppich ausgelegt (man könne also gar nicht fegen), es habe selten männliche Angestellte gegeben, und ihre Mutter, die damalige Besitzerin, habe nie geflucht oder jemanden so behandelt. Außerdem würden sie keine Paninis servieren, wie im Buch behauptet.

Ähnliche Beschwerden kommen aus anderen Orten: Der Besitzer des »Fairway Buoy« in Westward Ho! bestreitet im Observer-Artikel, jemals ein Pub-Quiz veranstaltet zu haben, wie Winn es beschreibt. Ein Campingplatz-Verwalter namens »Tadge« fühlt sich als »frustrierter Bürokrat« falsch dargestellt und betont, er würde niemals den Begriff »space theft« (etwa: »Erschleichen eines Campingplatzes«) verwenden, den Winn ihm in den Mund legt.

Abweichungen wie bei der Google-Bewertung

Doch die Vorwürfe, die der Observer zusammenträgt, sind alles andere als spektakulär. Wer sich nicht positiv porträtiert sieht, wird das naturgemäß nicht angenehm finden. Dass Menschen Orte und Unterkünfte ganz unterschiedlich wahrnehmen, zeigt jede Google-Rezension: Was der eine als »unfreundlich« empfindet, gilt dem anderen als »authentisch«. So hat das oben erwähnte Café in Mullion Cove zwar fast ausschließlich hervorragende Bewertungen bei Tripadvisor, aber dennoch findet sich auch dort jemand, der den Service als »schrecklich« beschriebt.

Hinzu kommt, dass Winn in ihren Büchern erklärt, sie verwende andere Namen und verändere Details, um die Privatsphäre der Menschen zu schützen. Literarische Freiheit ist in autobiografischen Werken nicht ungewöhnlich.

Der Observer bemüht sich um Dramatik

Der Observer bemüht sich in seinem neuen Artikel sichtlich, diese eher harmlosen Unstimmigkeiten als weiteren Beleg für Winns »Unzuverlässigkeit als Erzählerin« zu präsentieren. Dabei fällt auf, dass die Zeitung immer wieder betont, das Buch werde als »wahre Geschichte« vermarktet – ein Argument, das bereits im ersten Artikel zentral war.

Doch wie Wolfgang Tischer im Podcast analysierte: Mit der Wahrheit in angeblich wahren Geschichten ist das so eine Sache. Jede Autobiografie ist zwangsläufig subjektiv gefärbt durch die Perspektive des Erzählers. Was als »wahr« empfunden wird, muss nicht objektiv belegbar sein – gerade bei emotionalen Erlebnissen wie dem Verlust des Zuhauses oder dem Umgang mit einer schweren Krankheit. »Der Salzpfad« ist kein Sachbuch.

Zweifel an der körperlichen Leistungsfähigkeit

Interessant ist ein anderer Punkt des neuen Observer-Artikels: Erfahrene Wanderer hätten in Online-Foren begonnen, die körperliche Leistungsfähigkeit des Ehepaars zu hinterfragen. Sie bezweifeln, ob die beiden den anspruchsvollen Wanderweg in der beschriebenen Verfassung und mit der geschilderten minimalen Ernährung hätten bewältigen können. Doch das sind Vermutungen, keine Belege.

Der Observer streut Zweifel, schwächt diese jedoch sogleich ab: Paddy Dillon, Autor des maßgeblichen Wanderführers zum South West Coast Path, wird zitiert mit der Aussage, er habe schon »ziemlich unfitte und möglicherweise kranke Menschen« den Weg bewältigen sehen. Er erwähnt sogar zwei Damen in den Siebzigern, die ohne Zelt geschlafen hätten. Seine einzige Skepsis bezieht sich auf die im Buch geschilderte minimale Nahrungsaufnahme über Wochen hinweg.

Was will der Observer erreichen?

Dieser nachgelegte Observer-Beitrag enthält letztendlich nichts wirklich Schlimmes oder Skandalöses. Die Zeitung scheint nach dem ersten Artikel und Winns Gegendarstellung offenbar keine weiteren gravierenden Unstimmigkeiten gefunden zu haben. Stattdessen werden relativ normale Meinungsverschiedenheiten über Darstellungen und Bewertungen etwas dramatisiert.

Der Eindruck verstärkt sich, dass der Observer primär vom Medienrummel um den Kinostart der Verfilmung profitieren will. Die Tatsache, dass eine Witwe »jahrelang auf diesen Anruf gewartet« habe, zeigt: Das Material lag offenbar schon länger vor, wurde aber erst jetzt – sieben Jahre nach Bucherscheinung – offenbar strategisch genutzt.

Winn bleibt bei ihrer Version

Über ihre Anwälte ließ Winn dem Observer mitteilen: »Der Salzpfad ist ein ehrlicher Bericht über das, was wir auf dem Pfad erlebt haben, und ich stehe dazu.« Sie hatte bereits auf ihrer Website betont, das Buch handle nicht von »jedem Ereignis oder Moment« in ihrem Leben, »sondern von einer Zeitkapsel, als sich unser Leben von einem Ort der völligen Verzweiflung zu einem Ort der Hoffnung bewegte«.

Diese Formulierung ist bemerkenswert: Winn definiert ihr Buch explizit als selektive Darstellung einer bestimmten Lebensphase, nicht als lückenlose Dokumentation. Das ist ein durchaus ehrlicher und üblicher Umgang mit den Grenzen autobiografischen Schreibens.

Was meinen Sie zu den neuen Vorwürfen?

Nach diesem zweiten Observer-Artikel wird deutlich: Die brisanteren Vorwürfe standen im ersten Beitrag. Die neuen Anschuldigungen um falsch dargestellte Cafés und skeptische Campingplatz-Betreiber werden kaum dazu führen, dass die Menschen ihre Meinung über »Der Salzpfad« grundlegend ändern.

Was ist Ihre Einschätzung zu diesen neuen Vorwürfen? Halten Sie Unstimmigkeiten bei der Darstellung von Begegnungen für relevant, oder sind das normale Unterschiede in der Wahrnehmung? Und hat der Observer mit diesem zweiten Artikel seine Glaubwürdigkeit eher gestärkt oder geschwächt? Teilen Sie Ihre Meinung in den Kommentaren mit.

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10 Kommentare

  1. Die wissen noch nicht einmal, ob sie tatsächlich Sally heißt…

    Ich sehe da keinen riesengroßen Skandal. Nach einer wahren Begebenheit, heißt nicht, das Alles bis auf das letzte und kleinste Detail genau nach erzählt ist. Es heißt, das man eine wahre Begebenheit als Vorlage für eine Geschichte genommen hat.

    Nun, wenn jetzt die Sunday Times schreibt: A true story…

    Wo im Buch steht WAHRE GESCHICHTE?

  2. Ist doch klasse Marketing für das Buch. Und dabei beziehe ich mich nicht auf diesen Artikel im Einzelnen, sondern die gesamte Berichterstattung. So viel Aufhebens kann man sich als Autor nur wünschen und ich wette, das es die Verkaufszahlen gesteigert hat. „Nur keine Presse ist schlechte Presse“. Ich kannte weder Sie noch ihr Werk. Jetzt denke ich darüber nach es zu kaufen und zu lesen, weil es mich neugierig gemacht hat. Ich finde den Artikel hier richtig platziert, aus zwei Gründen: 1. Perspektive „Buchvermarktung“, 2. Die Frage „wie nah an der Wahrheit muss es sein und was ist künstlerische Freiheit.“. Liebe Herren T und A: Konstruktive Kritik üben Sie noch, richtig? ;-).

  3. Ich habe das Buch mit sehr viel Freude gelesen und fand es inspirierend. Die Kritiken finde ich albern und verstehe die Gründe auch nicht.
    Der Film dagegen war enttäuschend, weil mir die zweite Hälfte fehlte.

  4. Der Film war insofern nicht spannend dargestellt, weil kein Mensch so einen anstrengenden Weg immer mit guter Laune und in dieser Situation bewältigt. Die kritischen Szenen waren smart dargestellt und ich glaube, sie bekamen auf dem Weg generell mehr Unterstützung von Menschen, so dass hier ausgesuchte Erlebnisse erzählt wurden. Es ist auch keine Dramatik, weil es dazu führte, dass sie mit der Story Geld verdienen konnten. Ich werde das Buch nicht lesen.

  5. Die Autorin und ihr Ehemann werden im Buch und in dem begleitenden Marketing an zentraler Stelle als unschuldig in Not geratene Opfer dargestellt. Nach den Recherchen des Observer hat sich das wohl als nicht ganz zutreffend erwiesen. Diskussionen darüber verlaufen im angelsächsischen Raum deutlich anders als die hier geäußerten, eher gleichgültigen Kommentare, die die Sache unter den flauschigen Teppich der Belletristik fegen möchten.
    Das Börsenblatt, Magazin des Deutschen Buchhandels, macht bisher einen großen Bogen um die geplatzte Blase einer Wanderwunderheilung in Fortsetzungen und feiert stattdessen ungerührt die neueste Bestsellerliste. Dem Bertelsmann Konzern, Eigentümer von Penguin Random House wirds recht sein. Solange es begierige Leser für solche Lektüre gibt, werden Autoren und Verlage versuchen, den maximalen Profit daraus zu schlagen.

  6. Ich habe das Buch mit viel Freude und Neugier gelesen, war immer gespannt, wie es weitergeht. Es ist bewundernswert, wie das Paar die teils unwirtlichen Umstäne (und das ist gelinde gesagt für manche Situationen) bewältigt hat. Auch die frappierende Ehrlichkeit hat mich oft berührt, mit sich und dem Älterwerden umzugehen, es auszusprechen, Gefühle und was einem manchmal so durch den Kopf geht. Und ich habe wieder Lust auf Weitwandern bekommen und mich öfter freudig an einen Kurzurlaub vor vielen Jahren an der englischen Südküste erinnert.
    Ein wenig war ich enttäuscht, warum jemand die positive Wirkung von so einer Geschichte mit „Enthüllungen“ zerstören oder schmälern möchte. Wozu schleicht man in solcher Absicht hinterher? Man könnte ja auch einfach die Wanderleistung wertschätzen. Und widmet sich mit intensiven Recherchen großen Konzernen,
    Umweltsündern usw.!!
    Ich bin gespannt und in Vorfreude auf den Film! Dank Urlaub konnte ich ihn noch nicht sehen.

  7. Ich fand das Buchn rührselig und literararisch als sclechtnzunbewwerten . Schlimm finde ich , dassbzunächstbso getan wurde, dass sich in derbWirklichkeitnallesbgenauso abgespieltnhätte. Wenn die Autorin von Anfang an gesagt hätte, dass es sich um einen Roman mit authentischen Elementen handelt, wäre das ok gewesen. In meinen Augen bleibt es aber trotzdem kein gutes Buch.

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