Die Atmosphäre des Friedhofs schien ihn auf eine ungesunde Weise zu inspirieren, die eine neue zweifelhafte Lebens-Perspektive ins Spiel brachte...! Satz von Marco Bellucci, Grossostheim Die Geschichte zum Satz: Wäre es nicht, dachte er, einfach und recht problemlos, in Zukunft als stiller Gast bei Beerdigungen anwesend zu sein, als ferner Onkel etwa, als nie vorher gesehener dritter Cousin, als stiller Trauergast jedenfalls, der bei den gehaltenen Reden haltlos oder diskret, je nach Lage der Dinge, zu weinen begann, sich beim anschließenden Leichenschmaus verköstigen ließ, um dann ebenso still und unauffällig wieder zu verschwinden? - Die nötige Garderobe war vorhanden. Und die Freude, das Emporgehobensein, dieses Gefühl großer Leichtigkeit, das er bisher noch bei jeder Beerdigung erlebt hatte, eine Erleichterung darüber, dass es wieder nicht ihn, sondern den anderen erwischt hatte, diese Erleichterung, gemischt mit der nagenden Gewissheit, dass es dennoch und unausweichlich eines Tages auch ihn erwischen würde, all das war jedes Mal so reizvoll für ihn gewesen, dass er nicht mehr zögerte. Er griff zur Tageszeitung, notierte sich die Beerdigungen des nächsten Tages und traf eine Auswahl. Er würde - auch wenn die Gefahr des Entdecktwerdens größer war als normal - zunächst einer Beisetzung folgen, die in engerem Familienkreis stattfand. Wo, wenn nicht dort, könnte er seine Fähigkeit zur spontanen Lüge, sein Improvisationstalent, seine Schläue und die joviale Art, Menschen für sich einzunehmen, besser ausprobieren. Spätestens beim ersten Witz könnte er vom Leder ziehen, könnte zum Besten geben, wie der Verstorbene seinerzeit dies und das gesagt hatte, ob man sich denn nicht erinnere? - Nach Augenblicken nachdenklichen Schweigens würde jemand nickten, ein zweiter würde sagen "ja, ja" und so würden die Trauernden von einer Erinnerung ergriffen, die - ganz und gar an den Haaren herbeigezogen - dennoch von diesem Tage an Gemeingut der Familienerinnerungen werden würde. Und das nur, weil dieser unbekannte Trauergast, der dritte Cousin oder der entfernte Onkel, der seit den späten Siebzigern in Belgien lebte, weil eben dieser so gut aussehenden Mann sie in ihr kollektives Gedächtnis gestreut hatte, wie das Sandmännchen Kindern Sand in die Augen streut. Und wenn er erst einmal Sicherheit gewonnen hatte, wer weiß, vielleicht könnte er hier und da diesem und jenem auch eine Immobilie abschwatzen, einen alten Stuhl, Valuta. Nichts war unmöglich. |