Sascha Greinke empfiehlt »Ecstasy« von Irvine Welsh Ein Schotte, der in Amsterdam, London und Schottland lebt und arbeitet, kann ja in seiner Lebensplanung nicht so viele Fehler begangen haben. Das aber ein 58ger Jahrgang dermaßen tief und intensiv in eine popkulturelle Jugendsubkultur abtauchen kann, wie eben Irvin Welsh dies tut, ist schon erstaunlich. Der Autor hat auch in seinem zweitem Roman »Ecstasy« genug street credibility (das Kompliment würde Welsh sicherlich gefallen) bewiesen, um jedenfalls genug ernst genommen zu werden. Und das schreibt jemand, dem die ganze techno-community doch sehr fremd ist! Worum geht es eigentlich in »Ecstasy«? Um chemische Drogen? Um Jugend? Um Liebe? Um Rache? Um Veränderung? Um jung sein; jedenfalls zu jung (bitte, bitte, altersunabhängig zu verstehen!!!!), den Status quo zu akzeptieren? Eigentlich von allem etwas!!! Es ist schlicht zu billig, die drei Geschichten (»Eine Acid-House-Romanze«, »Eine Risiken-und-Nebenwirkungen-Romanze«, »Eine Rave-und-Regency-Romanze«), die in diesem Buch verewigt sind, auf den bloßen Drogenkonsum, der natürlich das Bindeglied (neben techno-music) der Storys ist, zu reduzieren. Natürlich handelte auch sein kongenialer Erstling »Trainspotting« von Heroin und dem gewollten Konsumieren dieser Droge (besonders zu beachten die tolle Verfilmung des Pop-Trios Boyle/Mc Donald & Hodge). Aber die Dekodierung dieses literarischen Symbols liegt bei Irvin Welsh auf der Hand. Hermeneutik on: Die Droge, als Mittel, den gegebenen Lebensumständen zu entfliehen, da alle anderen Handlungsmöglichkeiten den Protagonisten verschlossen sind. Eine Stilisierung der Droge als persönliche Handlungsoption; vor allem ein - wenn auch noch so persönliches - politisches Statement. Hermeneutik off. So ist es wunderschön zu lesen, dass in der ersten Geschichte sich eine gefrustete Ehefrau durch techno-raves, gute Freundin, die das richtige Leben lebt, und natürlich (???) durch Ecstasy sich von ihrem früh vergreisten Göttergatten entfremdet und dann
Im zweiten Abschnitt treffen sich zwei Menschen, die an der Welt Rache nehmen - und das in letzter Konsequenz! Die Verantwortlichen werden haftbar gemacht (welch wunderschöne Vision), auch wenn dies zwei Arme kosten kann/soll (in Tarantino-fame). Die dritte Story bietet Nekropholie und andere Arten der menschlichen Psyche (hallo, Mr. Bukowski), um wiederum in einer
zu enden. Warum schreiben diese Romane nur Briten und kolonisierte Inselbewohner? Welsh ist Schotte, Fehler - diesbezüglich - würde er mir sicher nicht verzeihen. Wo bleibt der deutsche Roman, der das echte Leben in den Neunzigern widerspiegelt - oder noch schöner - beschreibt?? Wobei Welsh ja auf's tollste die Dialogform benutzt, um Lebensumstände transparent zu machen. Er lässt seine Figuren reden und reden und reden!!! Alle Fans von Rohmer-Filmen werden sich wieder finden. Kulturpessimistische Abhandlungen mit wissenschaftlichem Touch gibt es auch in Deutschland zu genüge. Es gibt ihn nicht!!! So lesen wir weiter Nick Cohn, James Haws und natürlich Irvin Welsh; was nicht weiter schlimm ist bei der Qualität der Bücher (Nationalismus off; ohne jemals on gewesen zu sein). Dies sollte nur ein kleiner Schubser an alle Kreativen in HH und Berlin sein, doch bitte Bücher über das wahre Leben in den Metropolen der Jetztzeit zu schreiben und das Feld nicht den Altintellektuellen zu überlassen!!! Das Ruhrgebiet gibt halt nur Stoff für einen prima Fußballroman her. »Nordkurve« ist halt auch überaltert, und Fußball ist ja auch die wichtigste Nebensache der Welt. Auch das kann/muss man(n) noch von den Briten lernen. Ach, natürlich ist »Ecstasy« nicht nur Pflichtlektüre, sondern mehr. Das Buch ist auf jeden fall sooo gut, dass ich mich noch stundenlang darüber auslassen könnte!!!!! Irvine Welsh; Clara Drechsler (Übersetzung); Harald Hellmann (Übersetzung): Ecstasy: Drei Romanzen mit chemischen Zusätzen. Taschenbuch. 2011. KiWi-Taschenbuch. ISBN/EAN: 9783462043570. 8,99 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel Wenn Sie ein gutes Buch gelesen haben, das Sie weiterempfehlen möchten: Schreiben Sie uns eine kurze Kritik. Egal, ob es nur zwei Sätze sind oder es eine ausführliche Besprechung ist. Egal, ob das Buch eine aktuelle Neuerscheinung ist oder schon seit Jahren erhältlich ist. Einzige Bedingung: Das Buch sollte noch über den Buchhandel erhältlich sein. |